Die Wanderapothekerin 1-6
angeschlossen, oder man hat ihn in die Armee gepresst. Aber wie gesagt, das ist nur eine Annahme von mir. Es muss nicht stimmen.«
Tatsächlich hatte Alois Schneidt sich bewusst dazu entschlossen, diese Geschichte unters Volk zu bringen, weil sie das Verschwinden seines Neffen am besten erklärte. »Die Werbeoffiziere sind oft rabiat und nehmen wenig Rücksicht auf Pässe oder den Stand der Burschen, die sie in ihr Regiment zwingen. Man hat schon gehört, dass selbst Junker betrunken gemacht worden sind und sich hinterher bei den Musketieren wiedergefunden hätten«, setzte er hinzu und brachte einige Beispiele, von denen er auf seinen Reisen gehört haben wollte.
Auf die Weise wurde es spät, und der Gedanke, mit schwerem Kopf und einer geborgten Laterne durch die Nacht nach Hause zu stolpern, hatte wenig Verlockendes an sich. Alois Schneidt blieb daher sitzen, bis der letzte Gast gegangen war, und legte sich dann auf die Ofenbank. Das kostete nur zwei der kleinsten Münzen, und er hatte auf seinen Wanderungen häufig so genächtigt, während sein Bruder aus lauter Geiz in Heuschobern oder Schuppen geschlafen hatte, mit nichts anderem als Wasser und einem Stück Schwarzbrot zum Frühstück. In einer Herberge hingegen gab es Bier, oft auch Wein und eine Suppe, die er sich am nächsten Morgen schmecken lassen wollte.
Nach dem Frühstück hätte er eigentlich nach Hause gehen können, aber es drängte ihn, noch einmal mit Rumold Just zu reden. Vielleicht konnte er doch noch etwas zu seinen Gunsten erreichen. Er kam jedoch zu einer schlechten Stunde, denn der Laborant war zusammen mit seinem Sohn dabei, aus verschiedensten Zutaten eine seiner Salben herzustellen. Daher wischte Just sich nicht einmal die verschmierten Arme sauber und fertigte Schneidt an der Tür ab.
»Ich dachte, du wärst schon nach Hause gegangen«, sagte er ungehalten und bedauerte nicht zum ersten Mal, dass der falsche Bruder verschollen war. Martin Schneidt war sein bester Wanderapotheker gewesen, und er fürchtete, dass er dessen Verlust noch spüren würde. Dann fiel ihm ein, dass Alois Schneidt seiner Schwägerin das ausrichten konnte, was er am Vortag beschlossen hatte.
»Aber es ist ganz gut, dass du gekommen bist«, fuhr er fort, bevor Schneidt etwas sagen konnte. »Berichte deiner Verwandten, dass ich ihr helfen werde, so gut ich kann. So werde ich ihren Kräutergarten als Pfand für die Schulden übernehmen, die ihr Sohn bei mir hat. Damit ist es dem Amtmann verwehrt, diesen zur Begleichung der Steuern zu beschlagnahmen, und deine Schwägerin kann in dem Garten genauso weiterarbeiten wie bisher. Sag ihr das! Ihre Älteste will ich mit einem meiner Neffen dritten Grades verheiraten, der die Strecke deines Bruders übernehmen soll. Er wird später auch den Jungen anlernen, damit dieser ebenfalls als Wanderapotheker arbeiten kann, zum Beispiel auf deiner Strecke, wenn du keinen Schwiegersohn findest, der sie übernimmt.«
Justs Worte trafen Alois Schneidt wie Faustschläge. Wenn er dies seiner Schwägerin berichtete, hatte die Frau keinen Grund mehr, ihm den verborgenen Schatz auszuliefern. Er brauchte jedoch das Geld, um endlich ein reicher Mann werden zu können, zu dem auch ein Rumold Just Ihr und Euch sagen musste.
»Hast du verstanden?«, fragte der Laborant scharf.
Alois Schneidt nickte. »Ich werde es meiner Schwägerin ausrichten.«
»Dann ist es gut! Ich muss jetzt wieder an die Arbeit. Die Salbe muss hurtig bearbeitet werden, sonst verklumpt sie, und ich kann sie nicht mehr verkaufen.«
Damit schloss Just dem Besucher die Tür vor der Nase und kehrte in den Raum zurück, in dem sein Sohn kräftig die Salbengrundlage rührte.
»Gut gemacht, Tobias! Es sieht so aus, als könnte aus dir doch ein brauchbarer Laborant werden«, lobte er und nahm den nächsten Topf zur Hand, um eine weitere Essenz beizumischen.
Derweil stand Alois Schneidt draußen vor dem Haus und hätte am liebsten lauthals geflucht. Er wusste genau, dass er diese Nachricht niemals mit nach Hause bringen durfte, wenn nicht alles umsonst gewesen sein sollte. Mit stocksaurer Miene wandte er sich zum Gehen und stieß seinen Stab dabei so wild in den Boden, dass kleine Steine aufspritzten.
Auf dem Heimweg dachte er verzweifelt darüber nach, wie er Justs Angebot so verändern konnte, dass sich seine Schwägerin aus Angst vor der Zukunft seinem Willen beugte. Allmählich beruhigte er sich und lenkte, als er Katzhütte erreichte, seine Schritte als Erstes zu
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