Die Wanderapothekerin 1-6
uns leicht über den Tisch ziehen. Vielleicht sollten wir das Gold zu Herrn Just bringen. Er gilt trotz einer gewissen Härte als ehrenhafter Mann und würde uns unseren gerechten Anteil zukommen lassen.« Klara sah ihre Mutter auffordernd an, doch diese wehrte sofort ab.
»Just würde uns an den Amtmann verraten und dieser uns in den Kerker werfen, weil wir das Gold vor den Behörden verborgen gehalten haben.«
So genau kannte Klara die Gesetze nicht, aber sie begriff, dass sie niemanden fragen konnte, ohne in Gefahr zu geraten. Während sie verzweifelt überlegte, was sie tun konnten, erklärte die Mutter, dass sie das Gold eigentlich gar nicht hergeben wolle.
»Dein Vater hat immer gesagt, es wäre des Teufels, und wir kämen alle in die Hölle, würden wir uns daran vergreifen.«
»Dann kannst du es aber auch nicht dem Onkel überlassen!«
»Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, wenn wir nicht als Bettler durch die Lande ziehen wollen«, sagte die Mutter und begann wieder zu weinen.
Klara verstand sie nicht. Wie konnte sie in einem Augenblick sagen, das Gold sei des Teufels und dürfe nicht angerührt werden, und es im nächsten dem Onkel anvertrauen wollen, dessen Ehrlichkeit auch sie misstraute.
»Er wird uns betrügen!«, warnte sie die Mutter.
Diese nickte unter Tränen. »Das wird er! Aber wenn wir genug Geld erhalten, um unsere Schulden bei Just und die Steuern zahlen zu können, bin ich bereit, es zu tun.«
»Obwohl es Teufelsgeld ist und wir in die Hölle kommen, wenn wir es anrühren?«
»Der Herr im Himmel wird das nicht zulassen!« Der Tränenstrom der Mutter verstärkte sich, und Klara begriff, dass sie an diesem Abend nichts mehr erreichen konnte.
»Es ist spät geworden! Wir sollten zu Bett gehen«, schlug sie vor.
Ihre Mutter nickte, trank den Becher leer und ging in die Kammer, in der sie so lange Jahre mit ihrem Mann geschlafen oder sich während seiner Wanderschaft nach ihm gesehnt hatte. Es blieb an Klara hängen, die Becher zu spülen und wieder auf das Küchenbord zu stellen. Danach wusch sie sich und putzte ihre Zähne mit einem Schafgarbenstengel, bevor sie in die Kammer ging, die sie mit ihren Geschwistern teilte.
Im Bett schossen ihr alle möglichen Gedanken durch den Kopf und hielten sie wach. Es erschien ihr widersinnig, einen Goldschatz zu besitzen und diesen dem Onkel geben zu müssen, weil ihnen keine andere Möglichkeit blieb. Wenn wenigstens Rumold Just zu Hause wäre, dachte sie. Doch der war den Worten ihres Onkels zufolge nach Leipzig gefahren und würde so schnell nicht wiederkommen. So viel Zeit aber würde der Onkel ihnen nicht lassen. Irgendwann würde die Mutter nachgeben und ihm das Gold aushändigen.
»Niemals!« Der Klang der eigenen Stimme erschreckte sie, und sie horchte, ob sie ihre Geschwister geweckt hatte. Doch deren Atem ging weiterhin leise und ruhig.
»Mir muss etwas einfallen!«, murmelte sie vor sich hin. Doch wer konnte ihnen helfen?
Mit einem Mal wirbelten ihre Gedanken noch heftiger, und eine Idee ergriff von ihr Besitz. Erschrocken setzte sie sich im Bett auf und presste die Hände gegen das Gesicht. Wenn es jemanden gab, auf dessen Gnade sie hoffen konnten, so war es der Fürst in Rudolstadt. Um dem Onkel zuvorzukommen, würde sie sich jedoch schon am nächsten Morgen auf den Weg machen müssen.
Sie schob den Umstand, dass sie bis in die Residenzstadt einen vollen Tagesmarsch benötigte, ebenso beiseite wie die Tatsache, dass ihr Weg durch die Teufelsschlucht führen würde. Wenn sie diese in einem Bogen durch den Wald umging, musste es klappen, sagte sie sich. Ihr größtes Problem war die Mutter. Wie sollte sie ihr beibringen, dass sie fortgehen und erst nach zwei Tagen zurückkehren würde?
11.
D a Klara spät eingeschlafen war, wachte sie am nächsten Morgen erst auf, als die Mutter sie an der Schulter fasste und schüttelte. Noch während sie sich aus einem Alptraum hochkämpfte, in dem die ganze Familie aus ihrem Haus vertrieben worden war und in einer Höhle in den Bergen Zuflucht hatte suchen müssen, sprach die Mutter sie an.
»Ich gehe zum Kräutergarten, um nachzusehen, was dort noch geerntet werden kann. Kümmere du dich um deine Geschwister und bereite die Milchsuppe.«
»Ja, Mama!« Klara stand auf, streifte ihr Kleid über und trat an den Herd. Während sie das Feuer neu entfachte, dachte sie über das nach, was sie in der Nacht beschlossen hatte. Wenn sie ihr Vorhaben ausführen wollte, musste es rasch geschehen.
Weitere Kostenlose Bücher