Die Wanderapothekerin 1-6
Kuni! Unser ganzer Ritt war für die Katz, denn es gab nirgends die geringste Spur des verschwundenen Mädchens.«
»Das ist nicht gut! Vor allem wird es die Leute noch mehr ängstigen«, warf Rumold Just ein. Er hatte seinen Sohn gehört und war in die Küche gekommen. In der Hand hielt er eine holländische Tonpfeife, zog aber nicht daran.
»Es traut sich niemand mehr, den Weg durch die Teufelsschlucht zu nehmen. Nur Fremde tun das, wie ebender, der ermordet wurde und dessen Tochter wir suchen«, erklärte Tobias bedrückt.
»Das ist auch für uns nicht gut! Die Frauen, die für uns Kräuter sammeln, meiden nun das Waldstück in größerem Umkreis. Dabei gibt es gerade dort Stellen, an denen die wertvollsten Pflanzen wachsen.« Rumold Just verzog missmutig das Gesicht und befahl Kuni, ihm einen Krug Bier einzuschenken.
»Den brauche ich, um den ganzen Ärger hinunterzuspülen«, sagte er dabei.
Sein Sohn sah ihn verwundert an. »Gibt es noch etwas?«
»Das kannst du laut sagen! Gerold Schneidt ist auf seiner Strecke verlorengegangen. Zwar hat sein Onkel nach ihm gesucht, konnte ihn aber nicht finden. Bei Gott, ich hätte den Jungen doch nicht auf den Spuren seines Vaters ziehen lassen sollen.«
»Darum wirkten Johanna Schneidt und ihre Kinder so bedrückt, als wir sie heute getroffen haben. Es muss ein harter Schlag für sie sein«, sagte Tobias voller Mitleid.
»Nicht nur für sie ist es ein harter Schlag, sondern auch für uns. Schon im letzten Jahr habe ich der Schneidtin nach dem Verschwinden ihres Mannes einen Teil von dessen Schulden erlassen, und heuer werde ich ebenfalls kein Geld sehen. Oft kann ich mir das nicht leisten. Ich überlege schon, ob ich nicht ihr Haus fordern und sie in eine Kate ziehen lassen soll.«
Rumold Justs Stimme klang verärgert. Der Verlust regte ihn ebenso auf wie die Tatsache, dass Martin Schneidt sein bester Wanderapotheker gewesen war.
Tobias empfand die Worte seines Vaters als gefühllos und schüttelte empört den Kopf. »Du kannst der Witwe doch nicht ihr Heim nehmen! Sie hat schon genug Unglück erlebt. Wir werden schon nicht am Hungertuch nagen, wenn du dich nachsichtig zeigst.«
Mit verkniffener Miene wandte der Laborant sich seinem Sohn zu. »Barmherzigkeit ist schön und gut, aber wer die Hand zu offen hält, wird irgendwann nur noch seine nackten Finger sehen. Ebenso wie Martin Schneidt hat sein Sohn einen Teil seiner Waren in Kommission übernommen, aber kein Geld nach Hause gebracht. Einen Teil des Verlusts bin ich bereit zu tragen, doch alles kann ich mir nicht leisten. Das wäre auch zu viel verlangt. Zudem brauche ich nun einen neuen Wanderapotheker, der Martin Schneidts Strecke abläuft. Da es niemanden gibt, der diesen anlernen kann, muss ich ihm die Orte aufschreiben, die ich weiß. Allerdings kenne ich nicht jeden von Schneidts Kunden.«
»Seine Frau müsste es wissen – oder zumindest die Klara. Schneidt hat Gerold gewiss erzählt, bei wem er etwas verkaufen kann. Schließlich wollte er ihn doch dieses Jahr mitnehmen und anlernen«, erklärte Tobias eifrig.
Just wischte seine Bemerkung mit einer abwertenden Geste vom Tisch. »Wie du selbst sagst, hat er es dem Jungen erzählt, aber gewiss nicht der Tochter.«
Sein Sohn ließ nicht locker. »Martin Schneidt hat es bestimmt nicht heimlich getan, sondern dann, wenn sie im Winter in ihrer Küche zusammengesessen sind. Da hat Klara ganz sicher einiges aufgeschnappt, und dieses Wissen könnte für uns von Nutzen sein.«
Rumold Just betrachtete seinen Sohn mit einem nachsichtigen Blick. »Deine Ansicht in allen Ehren, doch ein kleines Mädchen begreift das alles noch nicht.«
Eine leichte Röte stahl sich auf Tobias’ Wangen. »So klein ist Klara nicht mehr, Vater. Ich schätze, dass sie mindestens fünfzehn Jahre alt ist.«
»Siebzehn!«, brummte Rumold Just. »Ich erinnere mich, dass du drei Jahre alt warst, als Martin Schneidts Tochter geboren wurde. Oder war es die Tochter seines Bruders?« Er legte die Stirn in Falten.
»Alois Schneidts Tochter Reglind und Klara sind nur wenige Monate auseinander«, erklärte sein Sohn.
»Dann ist Klara auch siebzehn oder wird es werden. Doch da du gerade den Namen Reglind Schneidt in den Mund genommen hast. Halte dich von der fern! Man munkelt, sie wäre auf eine reiche Heirat aus, und ich will nicht, dass sie dich Laffen einfängt. Der Pastor würde glatt von dir fordern, mit ihr vor den Traualtar zu treten, wenn er dir die Schuld dafür gibt, dass ihre
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