Die Wanderapothekerin: Alle Teile des Serials in einem Band (German Edition)
letzten Jahr kein eigenes Pferd besessen.
»Ich habe den Zossen geliehen, und der Reitknecht gibt acht, dass ich nicht samt dem Tier auf Nimmerwiedersehen verschwinde. Aber sprich weiter. Wie wurdest du gerettet?«
»Durch Lisa Pulver, die Tochter des hiesigen Apothekers. Sie hat Pilze gesucht, und nahe der Stelle, an der ich lag, wachsen die schönsten Steinpilze. So hat sie mich entdeckt. Ein anderes Mädchen wäre davongelaufen und hätte mich liegen gelassen, doch sie ist ein Engel und hat mir, da ich vor Durst halb umgekommen war, Wasser von einer Waldquelle gebracht. Dann sorgte sie dafür, dass ich geholt und in die Stadt gebracht wurde. Ihr Vater war zunächst nicht davon angetan, doch Lisa hat sich durchgesetzt, und so ließ er mich bleiben. In gewisser Weise kann sie genauso hartnäckig sein wie Klara.«
Gerolds Augen leuchteten und verrieten Tobias, dass die Apothekertochter großen Eindruck auf seinen Freund gemacht hatte. Dennoch stellte sich für ihn eine Frage.
»Weshalb hast du keinen Brief geschrieben? Deine Mutter und deine Geschwister wären sehr erleichtert gewesen, wenn sie gewusst hätten, dass du noch lebst.«
»Kannst du mir sagen, wie ich das hätte bewerkstelligen sollen? Ohne Geld nehmen die Postreiter der Herren zu Thurn und Taxis keine Briefe mit – und es gibt keine Fuhrleute, die diese weite Strecke fahren. Ich besaß nichts mehr, nur meine Hose, mein Hemd und meinen Rock, und die hatten während der Wanderschaft und durch den Sturz gelitten! Zudem lag ich lange Wochen auf dem Krankenlager, und nur Lisas liebevolle Pflege hat mich am Leben gehalten. Als ich wieder halbwegs zu mir kam, war viel Zeit vergangen, und ich nahm an, der Oheim hätte sein Ziel erreicht.«
»Welches Ziel?«, fragte Tobias verwundert.
»Du sprichst zu niemandem außer Klara und Mutter ein Wort! Versprochen? Wenn es aufkäme, würde es meiner Familie sehr viel Ärger eintragen.«
»Versprochen!«, antwortete Tobias und fragte sich, was geschehen sein mochte, weil sein Freund so auf Heimlichkeit bedacht war.
Gerold Schneidt atmete tief durch und hieb dann verzweifelt auf seinen Beinstumpf. »Wenn ich nur kein elender Krüppel wäre, dann würde ich dich bitten, mich mit nach Hause zu nehmen, damit ich alles so richten kann, wie es sich gehört. Aber der Weg ist zu weit.«
»Ich helfe dir, nach Hause zu kommen. Wir werden unterwegs genug Fuhrwerke finden, die in diese Richtung fahren. Wenn Klara sich um dich kümmert, müsste es gehen«, bot Tobias an.
Sein Freund schüttelte den Kopf. »Es wäre zu mühsam, und ich würde euch behindern. Außerdem müsste ich hier nur mit einem ›Vergelt’s Gott‹ als Dank gehen, und das will ich nicht.«
Die Apothekertochter hielt Gerold zurück, das begriff Tobias. Doch sein Freund stand vor einem ähnlichen Problem wie er. Ein Apotheker mit Bürgerrecht würde seine Tochter niemals einem wandernden Balsamträger geben, dem nicht einmal mehr die Kleider am Leib gehörten. Genauso wenig würde sein eigener Vater Klara als Schwiegertochter akzeptieren.
»Was willst du hier noch erreichen?«, fragte er.
»Was soll ich zu Hause tun? Spanschachteln schnitzen, das Dutzend zu einem halben Groschen?« Gerold schüttelte heftig den Kopf. »Nein, mein Freund! Ich kehre nicht nach Katzhütte zurück. Entweder gelingt es mir, mein Glück hier am Schopf zu packen, oder …« Diese Möglichkeit ließ er unausgesprochen, sondern fasste Tobias bei der Schulter und zog ihn näher zu sich heran, so als hätte er Angst, jemand könnte sie belauschen.
»Es geht um einen Schatz, Tobias. Seinen Wert kenne ich nicht, doch er muss etliche hundert Taler wert sein. Mein Vater und mein Oheim haben ihn vor vielen Jahren auf ihrer Wanderschaft gehoben. Während mein Vater seinen Anteil versteckt hat, verkaufte mein Oheim den seinen heimlich. Doch das Gold brachte ihm kein Glück. Sein erstes Weib starb im Kindbett, und er brach sich das Bein, so dass er ein Jahr lang nicht auf Wanderschaft gehen konnte. Um sein Privileg nicht zu verlieren, musste er einen Ersatzmann bezahlen, der wenig mehr nach Hause gebracht hat, als er selbst kostete. Kurz darauf hat mein Oheim Tante Fiene gefreit, die ihm nur die eine Tochter geboren hat.
Mein Vater war nach all dem Pech, das seinen Bruder getroffen hat, der festen Überzeugung, der Schatz sei verflucht. Daher wollte er nicht, dass sein Teil je benützt würde. Doch ich glaube nicht an Flüche! Die Frau meines Oheims wäre auch so gestorben.
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