Die Wanderapothekerin: Alle Teile des Serials in einem Band (German Edition)
besorgt und ängstlich. »Sag, wie geht es zu Hause? Gewiss hat der Oheim sich meiner Mutter und meiner Geschwister angenommen.«
Ein schwer zu deutender Unterton verwunderte Tobias. Wie es aussah, stand Alois Schneidt nicht sehr hoch in der Achtung seines Neffen.
»Ob er sich ihrer angenommen hat, weiß ich nicht zu sagen, denn ich war den Winter über nicht in Katzhütte«, berichtete Tobias. »Allerdings wäre es nicht nötig gewesen. Klara, dieses Teufelsmädchen, hat den Köhler Görch als Mädchenschänder entlarvt und erhielt dafür von Seiner Hoheit, Fürst Ludwig Friedrich, eine Belohnung. Außerdem hat sie das Recht gefordert, auf eurer Strecke als Wanderapothekerin zu gehen.«
»Der Fürst hat ihr diese Gunst doch hoffentlich verweigert!« Gerold klang erschrocken und wurde noch bleicher, als er Tobias’ Kopfschütteln sah.
»Deine Schwester kann verdammt stur sein! Alle haben versucht, es ihr auszureden, mein Vater, ich, eure Mutter …«
»Aber gewiss nicht der Oheim!«, warf Gerold giftig ein.
»Ob er es bei euch zu Hause getan hat, weiß ich nicht. Als unsere Wanderapotheker aufbrachen, versprach er, ihr mit Rat und Tat beiseitezustehen.«
Gerold lachte bitter auf. »Das glaube ich gerne! Sag bloß, diese Närrin ist tatsächlich losgelaufen?«
»Und ob sie das ist! Sie hat bis Michelstadt um etliches mehr verkauft als euer Onkel, obwohl dieser bis auf den ersten Markt in Kronach auf allen anderen Märkten verkaufen durfte.«
»Wo ist sie jetzt?«, fragte Gerold scharf.
»Ich bin auf der Suche nach ihr. Eigentlich hätte sie bereits in Gernsbach eintreffen müssen, doch das ist sie nicht!«
Gerold wirkte erschrocken. »Und der Oheim? Ist der schon da?«
»Nein. Auch der ist noch nicht aufgetaucht. Ich hoffe, den beiden ist nichts passiert.«
»Das hoffe ich auch! Vor allem Klara darf nichts zugestoßen sein. Sie ist zwar ein störrisches Ding, aber sie trägt das Herz auf dem rechten Fleck. Da der Oheim noch nicht bis hierher gekommen ist, wird es hoffentlich noch nicht zu spät sein. Suche sie bitte und lasse sie auf keinen Fall aus den Augen, selbst wenn du sie festbinden musst. Vor allem aber verhindere, dass der Oheim mit ihr allein ist.«
Es fiel Gerold schwer, etwas zu sagen, was einen Schatten auf die eigene Familie werfen konnte, doch nun ging es um seine Schwester. Er packte Tobias’ Arm mit seiner Linken und hielt ihn fest.
»Schwöre mir, dass du das, was ich dir jetzt sage, an keinen anderen Menschen weiterträgst, auch nicht an Klara!«
Verwundert sah Tobias ihn an. »Du machst mir direkt Angst!«
Gerold nickte verbissen. »Diese Angst erfüllt mich seit jenem Tag, als das Unglück geschah. Doch lass uns nach hinten gehen. Ich will nicht, dass jemand, der hier hereinplatzt, etwas davon erfährt. Herr Pulver kehrt erst heute Abend zurück, und Lisa ist bei einer Tante. Wir sind also unter uns.«
Mit diesen Worten führte er Tobias in eine kleine, saubere Kammer, in der nur ein Bett und eine alte Truhe standen.
»In der sind meine wenigen Reichtümer, nämlich ein Ersatzhemd und zwei Paar Socken, die Lisa mir gestrickt hat«, erklärte Gerold. »Setz dich drauf! Einen Stuhl kann ich dir leider nicht anbieten.«
»Erzähl, was geschehen ist«, forderte Tobias ihn auf.
»Ich bin vor einem Jahr sehr gut durchgekommen und hatte nur noch drei oder vier Tage zu gehen, um Gernsbach zu erreichen, da geschah es«, begann Gerold leise.
»Waren es Räuber?«
Gerold verzog das Gesicht wie unter starken Schmerzen, hatte sich aber gleich wieder in der Gewalt. »So kann man es nennen! Es war ein Räuber. Er lauerte mir auf, schlug mich hinterrücks nieder und warf mich in eine Schlucht. Wahrscheinlich glaubte er, ich wäre bereits tot. Aber dazu hatte er nicht gut genug getroffen. Trotzdem hätte es ausgereicht, mir den Garaus zu machen, denn ich hatte mir beim Sturz in die Schlucht das rechte Bein und ein paar Rippen gebrochen. Zwar habe ich verzweifelt versucht, von der Stelle fortzukriechen, doch ich hatte noch das zerbrochene Reff auf dem Rücken und konnte es nicht abstreifen. Verzeih, ich bin ein schlechter Gastgeber! Willst du etwas trinken?«
Der abrupte Themenwechsel verwirrte Tobias, doch er schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe noch meinen Weinkrug im Gasthaus stehen. Allerdings wird mein Reitknecht, wie ich ihn kenne, diesen leeren!«
»Du bist zu Pferd und hast einen Reitknecht bei dir?«, rief Gerold verwundert aus, denn Tobias’ Vater hatte zumindest bis zum
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