Die Wanderapothekerin: Alle Teile des Serials in einem Band (German Edition)
jetzt nennen! Es sind Kitzingen am Main und Michelstadt im Odenwald.«
Zwar hielt Just es nahezu für ausgeschlossen, dass das Mädchen es überhaupt bis Kitzingen schaffen würde, aber er wollte sich nicht vorwerfen lassen müssen, es nicht richtig angelernt zu haben. Da fiel ihm noch etwas ein.
»Kannst du überhaupt lesen?«
Klara zuckte zusammen, nickte dann aber. »Ja, Herr Just, ein wenig kann ich es.«
»Beweise es mir!« Just winkte seinem Sohn, ihm einen der Zettel zu geben, die er zur Beschreibung seiner Arzneien hatte drucken lassen, und reichte ihn an Klara weiter.
»Lies vor, was da steht!«
Klara hatte auf einmal einen ganz trockenen Mund und schluckte verzweifelt, um ihren Speichelfluss anzuregen. Neben ihr begann der Onkel zu lachen. Auch Justs Gesicht verzog sich spöttisch, und hinter diesem grinste Tobias so überlegen, dass in ihr die Wut hochkam.
»Die gute Kloster-Essenz zum Schutze von Magen und Darm«, begann sie etwas stockend vorzulesen. »Dieses Mittel ist zu nehmen bei Verstimmung von Magen und Darm, bei Übelkeit sowie bei Durchfall. Auch wendet man es bei leichter Ohnmacht und als Einreibemittel für das Herz an.«
»Nicht übel!«, kommentierte Tobias grinsend und erntete einen zornigen Blick seines Vaters.
Für einen Augenblick war Klara verunsichert, las dann aber weiter vor. »Hergestellt aus Olium Toenic, Olium Anisi, Olium Rosmarin, Olium …«
»Das reicht«, unterbrach Just sie. »Du hast gezeigt, dass du lesen kannst. Wer hat es dich gelehrt?«
»Unser Pastor hat uns die Buchstaben beigebracht, damit wir das Vaterunser lesen können. Danach habe ich die Zettel, die Papa übrig hatte, gelesen und auch in der Bibel«, berichtete Klara ein wenig schuldbewusst.
Es war nicht immer ganz einfach gewesen, denn die Mutter hielt wenig von Mädchen, die lasen, und hatte ihr oft den Spüllappen übergezogen, wenn sie sie mit einem Buch oder einem Zettel erwischt hatte.
»Was für eine Verrücktheit, Frauenzimmern das Lesen beizubringen. Womöglich kann sie auch noch schreiben«, sagte einer der Wanderapotheker mürrisch.
Zwar hatte Klara, wenn es möglich gewesen war, auf Gerolds Schiefertafel geübt. Mit einer Feder aber hatte sie es noch nie versucht. Sie hoffte daher, dass sie nicht auch noch in dieser Fertigkeit geprüft wurde.
Just kümmerte sich jedoch nicht weiter um sie, sondern winkte den fünf anderen Wanderapothekern, ihm ins Haus zu folgen. »Eure Fuhrwerke fahren als Erstes los. Also beeilt euch!«
Das ließen die Männer sich nicht zwei Mal sagen, und so blieb Klara mit ihrem Onkel und Tobias allein. Da niemand ein Wort sagte, nutzte Tobias die Zeit, Klara eingehend zu mustern. Er war froh, dass sie eine so unkleidsame Tracht trug und die Krempe des Hutes ihr Gesicht beschattete, denn sie war ein sehr hübsches Mädchen. Wenn sein Vater das bemerkte, würde er ihm womöglich nicht erlauben, mit ihr zu ziehen.
Klara kam es so vor, als wolle Tobias sie mit seinen Blicken ausziehen. Vielleicht machte er sich auch heimlich über sie lustig, weil sie in dieser Kleidung einen gewöhnungsbedürftigen Anblick bot. Ihre Base Reglind würde so eine Tracht niemals anziehen. Doch die hatte auch noch den Vater, der für das tägliche Brot sorgte und seine Tochter darüber hinaus in einer Weise verwöhnte, die sie nicht verstand.
Nach einer Weile kamen die anderen Wanderapotheker voll bepackt aus dem Haus. »Eine gute Strecke!«, wünschten sie Alois Schneidt. Klara ignorierten sie. Diese sah ihnen nach, bis sie durch das offene Hoftor zu einem der drei Fuhrwerke schritten, welche Kupferbarren aus der nahen Schmelze geladen hatten. Zwei von ihnen, die mit demselben Wagen fuhren, stritten sich kurz, wer sich neben den Fuhrmann auf den Bock setzen durfte, dann stieg einer von ihnen hinauf, nahm oben beide Reffs entgegen und stellte sie so hin, dass die Arzneien, die in den verschiedenen Gefäßen verstaut waren, gut geschützt waren.
Klara begriff, dass sie ebenfalls darauf achten musste, dass ihre Sachen unterwegs nicht ausliefen, und fühlte sich von der Aufgabe, die sie erwartete, schier erschlagen. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch folgte sie Just und ihrem Onkel ins Haus und fand sich kurz darauf vor einem Tisch wieder, auf dem all das aufgebaut war, was sie mitnehmen sollten.
Während ihr Onkel aus langer Gewohnheit sofort wusste, wo die einzelnen Töpfe, Tiegel, Krüge und auch die Spanschachteln mit Pulvern und getrockneten Kräutermischungen hingehörten,
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