Die Wanderapothekerin: Alle Teile des Serials in einem Band (German Edition)
Lüstlinge der Stadt ausgeliefert.«
Tobias wollte nicht noch deutlicher sagen, dass es sich bei denen, die draußen schliefen, zumeist um Frauen mit lockerer Moral oder gar um Huren handelte, die sich auf diese Weise ihr Brot verdienten.
Aus einer gewissen Widerspenstigkeit heraus wollte Klara schon erklären, dass sie das Vordach dem Schlafraum des Gasthofs vorziehen würde. Doch ein Blick auf Tobias’ Miene belehrte sie eines Besseren. Sie beschloss, seine Warnung nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
»Also gut!«, sagte sie deshalb. »Dann tu ich mir noch einmal das Geschnarche an. Ab morgen wird es ja ohnehin anders werden.«
»Ich verspreche dir, heute nur ganz leise zu schnarchen.«
Tobias grinste schon wieder, und das ließ Klara bedauern, eingelenkt zu haben. Mit dem Gedanken, es sich bis zur Schlafenszeit noch einmal zu überlegen, trug sie ihr Reff in den Gasthof, stellte es dort neben dem ihres Onkels ab und setzte sich zu diesem. Alois Schneidt hatte das kurze Gespräch zwischen seiner Nichte und dem Sohn des Laboranten ausgenützt, um sich einen vollen Krug Bier und eine Portion Braten reichen zu lassen. Als Klara neben ihm Platz nahm, steckte er sich eben ein Stück Fleisch in den Mund.
»Hm, das schmeckt«, meinte er, während er genüsslich kaute.
»Willst du auch Braten?«, fragte die Wirtin.
Klara schüttelte den Kopf. »Nein danke! Mir reicht ein Napf mit Eintopf.«
»Sie ist die Tochter meines Bruders Martin und nicht weit vom Stamm gefallen«, erklärte Alois Schneidt spöttisch.
Einige Gäste, die ihn und Klaras Vater gekannt hatten, lachten. Die Wirtin hingegen maß Klara mit einem kalten Blick. »Sie wird aber nicht draußen unter dem Vordach schlafen wie die Huren. Ihr Vater hat denen zwar nichts zu verdienen gegeben, aber man würde sie dort gewiss belästigen.«
Klara schrumpfte ein wenig, als sie hörte, wie schlecht ihr Vater hier angesehen war. Dann aber sagte sie sich, dass jemand, der nur einen Krug Bier trank und ein wenig Eintopf aß und dann billig unter dem Vordach nächtigte, bei keinem Wirt in hohen Ehren stand. Sie erhielt einen kleinen Krug Bier und eine Schüssel Gemüseeintopf mit Fleischeinlage. Diese stammte, wie sie nach dem ersten Bissen feststellte, von einem sehr alten Huhn. Ein Trinkgeld, dachte sie, hatte die Wirtin sich mit diesem zähen Eintopf nicht verdient.
Während Klara aß, beobachtete Tobias sie. Er war sich noch immer nicht im Klaren darüber, was er von ihr halten sollte. Zwar war sie mutig und geschickt, doch er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie sich als Wanderapothekerin würde durchsetzen können. Dafür brauchte es kräftige Ellbogen, und die hatte eine Frau im Gegensatz zu Männern nur selten. Auch er trank einen Krug Bier und aß eine dicke Scheibe Braten. Kurz erwog er, Klara ein Stück anzubieten. Aber so, wie er sie kannte, würde sie ablehnen und ihn vor allen Leuten wie einen Trottel dastehen lassen.
»Es wird Zeit, dass sie ihren Starrsinn ablegt«, murmelte er und sah dann erschrocken auf, weil er fürchtete, sie könnte es gehört haben. Klara kämpfte jedoch gerade mit einem besonders zähen Stück Hühnerfleisch, zudem war der Lärmpegel in der Gaststube zu hoch, um die leisen Worte verstehen zu können.
»Ich werde morgen in aller Frühe aufbrechen«, erklärte Alois Schneidt, während er die verbliebene Bratensoße mit einem Stück Brot vom Servierbrett aufwischte.
»Du und früh aufbrechen!«, spottete die Wirtin. »Vor der neunten Stunde bist du selten fort, während dein Bruder meist bei Tau und Tag aufgebrochen ist und nicht einmal mehr die Morgensuppe bei mir gegessen hat.«
Wenn die Morgensuppe genauso schmeckt wie der Eintopf, kann ich Vater verstehen, dachte Klara und spürte, wie die Tränen in ihr aufsteigen wollten. Seit anderthalb Jahren wurde ihr Vater vermisst, seit einem halben Jahr ihr Bruder. Nun klammerte sie sich an die Hoffnung, man könnte beide zu den Soldaten gezwungen haben. Der Franzosenkönig Ludwig sollte, wie sie gehört hatte, Krieg gegen das Reich führen, und Kaiser Karl – der sechste seines Namens – brauchte immer mehr Soldaten, um dem Feind widerstehen zu können.
Ihre betrübte Miene rührte Tobias, und er fragte sich, ob er ihr nicht doch beistehen sollte, ihre Aufgabe zu bewältigen. Zwar glaubte sein Vater, Klara würde bereits nach wenigen Tagen begreifen, dass sie als Wanderapothekerin ungeeignet war, und nach Hause zurückkehren. Doch der Gedanke,
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