Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
den glühendsten Farben. In seinen Geschichten waren Ritter noble Männer mit edler Gesinnung, die den Heiligen Gral bewachten. Arigund näherte sich zögernd, um festzustellen, in welche der beiden Kategorien die Brennberger wohl fielen. Von hier oben war das allerdings schwer auszumachen. Ob es schicklich war, die Ritter zu begrüßen? Andererseits waren die Brennberger seit Langem Kunden des Handelshauses DeCapella. Und so behandelte Arigunds Vater sie nun auch: höflich, aber nicht unterwürfig. Zwar mied der Kaufmann den direkten Blickkontakt zu den Rittern, aber er hatte sich immerhin auf die zweitunterste Treppenstufe gestellt. Der kleine Mann befand sich somit nur knapp unter Augenhöhe der Hünen, und er sprach laut und gestikulierte lebhaft – auch dies nicht unbedingt angemessen im Umgang mit Adeligen.
»So leid es mir tut, Euer Gnaden, aber ich muss darauf bestehen, dass die Außenstände umgehend ausgeglichen werden«, hörte das Mädchen ihren Vater sagen. »Über der Schwertleite Eures Sohnes ist bereits der Winter vergangen, und kein einziger Regensburger Pfennig wurde unserem Hause übergeben.«
»Ihr werdet doch wohl auf das Ehrenwort eines Ritters vertrauen«, grollte der Brennberger. »Ihr werdet Euer Geld schon bekommen.«
»Ich bedauere außerordentlich, aber auch ich stehe in der Pflicht. Die Venezianer überlassen mir den Brokat nicht für gute Worte, sondern nur gegen klingende Münze. Wir rüsten zum Marienfeiertag ein Schiff. Bis dahin kann ich Euch Frist gewähren, danach jedoch müsste ich mich an den Fürstbischof wenden.«
Die Schwerthand des Ritters zuckte. Arigund unterdrückte einen Aufschrei und trat zurück in den Gang. Dabei stieß sie gegen eine Vase, die klirrend zu Boden fiel. Ihr Vater sah zu ihr hoch. Der Ausdruck auf seinem Gesicht, eben noch angespannt, änderte sich sofort. Ein Strahlen ließ seine dunkelbraunen Augen leuchten. Er breitete die Arme aus und kam seiner Tochter entgegen.
»Madonna, mia cara«, raunte er. »Du blendest uns mit deiner Schönheit.« Er deutete einen Handkuss an und geleitete sie dann die Stufen hinunter.
»Hohe Herren, darf ich Euch meine Tochter Arigund vorstellen. Arigund, verneige dich vor dem Truchsess des Bischofs, Herrn Reimar von Brennberg, und seinem Sohn Wirtho.«
Das Mädchen beugte den Nacken und versank in einem angemessen tiefen Knicks. Der Geruch von Pferdeschweiß und Bier stieg ihr in die Nase. Zwischen den Wimpern hindurch blinzelte sie die beiden Ritter an. Mächtige Gestalten waren das, Furcht erregend mit ihren seitlich gegürteten Schwertern. Niemand sonst in Regensburg würde ihrem Vater in seinem eigenen Haus derart herrisch gegenübertreten. Der Truchsess musste in der Tat ein mächtiger Mann sein. Es war mutig von ihrem Vater, so unnachgiebig auf seinen Forderungen zu beharren. Arigund bemerkte den abschätzenden Blick des Burgherren.
»Ein wenig kleinwüchsig, das Mädchen. Wie alt bist du, Kind? Acht? Neun?«
Arigund versank noch mehr. Ja, sie war von kleiner, schmächtiger Gestalt, genau wie ihr Vater. Aber das konnte doch noch werden!
»Sie vollendete im Februar das vierzehnte Lebensjahr und ist unserem Haus bereits eine große Stütze im Kontor«, pries DeCapella seine Tochter an.
»Im Kontor? So wird sie von einem Schreiber unterrichtet?«
»Ihr Lehrer ist Bruder David von Augsburg, der Prior des Minoritenklosters. Sie kann hervorragend rechnen und ist dabei, sich in die Bücher einzuarbeiten.«
»Ach, sind das die Aufgaben der Damen in einem städtischen Kaufmannshaus?«
»Je früher man den Wert des Geldes schätzen lernt, desto weniger leichtfertig gibt man es später aus.«
Wenn auch in Demut vorgetragen, so war dies eindeutig eine Spitze gegen den Truchsess, dessen schlechtes Zahlungsgebahren in Patrizierkreisen legendär war. Kaum ein Kaufmann gab ihm noch Kredit.
Der Truchsess zog entsprechend die buschigen Augenbrauen hoch. »Nun, hat sie denn auch weibliche Qualitäten?«
»Gewiss, sie kann nicht nur mit der Feder zaubern. Euer Gnaden werden in ganz Regensburg niemanden mit einer schöneren Stimme finden. Ihr Gesang ähnelt dem einer Nachtigall im Sommerwind.«
Reimar von Brennberg antwortete mit etwas, was genauso gut ein Husten- wie ein Lachanfall sein konnte. Arigund knirschte mit den Zähnen und ballte die kleinen Fäuste. War sie eben noch ganz aufgeregt gewesen, einem echten Ritter zu begegnen, so machte sich in diesem Moment ihr italienisches Temperament bemerkbar. Mochte der alte
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