Die Wanifen
Herz durchbohrt hatte, war blutverschmiert. Es würde reichen. Ich wusste, was für ein Gift ich gemischt hatte. Selbst der kleinste Rest davon wäre genug, um mein schwaches Herz zum Stillstand zu bringen …
So einfach … Ein kleiner Stich in den Finger würde genügen und ich würde Gorman in die Welt der Toten folgen. Ich würde ihn wiedersehen, und Kauket, und Rainelf, vielleicht sogar meine Eltern.
Ich hob den Pfeil zitternd in die Höhe und näherte meinen Zeigefinger langsam der Spitze. Nur ein winzig kleiner Stich. Das war alles, was ich tun musste.
Gorman … Gorman, ich komme!
Etwas Schweres traf mich und riss mich zu Boden. Kühle Hände entwanden mir mit einer geschickten Bewegung den Pfeil.
Verwirrt richtete ich mich auf und öffnete die Augen.
»Du bist also gekommen, um mich hinüberzubegleiten«, flüsterte ich und lächelte.
Rainelf kniete mir gegenüber auf dem Boden und hielt mich an den Handgelenken fest.
»Nein, Ainwa«, flehte er. »Das darfst du nicht, hörst du! Du darfst nicht!«
»Sorg dich nicht um mich, freundlicher Geist«, flüsterte ich. »Mir tut nichts mehr weh …«
»Ainwa, sieh mich an, bitte! Ich bin kein Geist! Ich bin Rainelf. Ich bin am Leben! Du bist am Leben!«
Ich starrte ihn an und sah ihn zum ersten Mal wirklich. Ein paar hässliche Risswunden zogen sich über seine Arme. Ein Teil seines Gesichts wirkte geschwollen und der Großteil seiner Kleidung war zerfetzt. Auf seinem Unterarm leuchteten zwei neue Zeichen, die Geister der beiden Tráuna.
»Rainelf? Du lebst?«
»Ja! Und ich brauch dich, hörst du? Ich brauch dich! Ich kann nicht wieder allein sein.«
»Rainelf«, murmelte ich mit einem Seitenblick auf Gormans Leiche. »Ich … h…« Ich musste schlucken. »Ich hab ihn getötet.«
»Nein, Ainwa«, flüsterte Rainelf. »Du hast ihn erlöst, aus seinem langen Albtraum.«
»Ich hab ihn geliebt«, rief ich mit rauer Stimme.
»Ich weiß«, sagte er. »Ich weiß, wie es sich anfühlt.«
Er hielt mich fest, genauso, wie er mich in jener Nacht im Seemoor festgehalten hatte.
»Auch wenn du es jetzt noch nicht begreifst. Kauket und Gorman, sie wussten, dass du es wert warst, dich zu retten. Es gibt so viele Menschen, die jemanden wie dich brauchen, Ainwa. Nur durch deine Gutherzigkeit hast du mich wieder ins Leben zurückgeholt. Ohne zu zögern, bist du losgezogen, um deine Leute zu beschützen, obwohl sie dich verstoßen haben. Ich habe nie einen Wanifen gekannt, der würdiger wäre, den großen Ata zum Seelengeist zu haben als du. Du musst doch noch so viele großartige Dinge tun … Du musst doch noch so vielen Menschen helfen. Verlass mich nicht!«
»Rainelf«, hauchte ich überrascht. »Du weinst ja …«
Rainelf richtete sich verwirrt auf und musterte mich aus großen Augen. Zwei glitzernde Tränen liefen über seine Wangen. Er lachte, dann umarmte er mich und drückte mich fest an sich.
»Ich bin so froh, dass es dir gut geht!«
Wir hielten einander fest, bis die Sonne aufging und ihre ersten Strahlen über den Dreibach sandte.
Kapitel 20
Die Wanifen
I ch saß auf dem Steg vor Alfangers Hütte und blickte auf den See hinaus.
Ein erster Hauch von Frühling hatte den See von seiner Eisdecke befreit und der Schnee hatte sich zurück in die Berge gezogen. Versonnen betrachtete ich Galsingers Hütte. Mit einem Lächeln erinnerte ich mich daran, wie ich Gorman stundenlang dabei zugesehen hatte, wie er an meinem Eibenbogen gearbeitet hatte. Was für ein Geschenk … Er hatte mich so viele Male beschützt, trotzdem wusste ich nicht, ob ich ihn je wieder würde benutzen können.
Mit Rainelfs Hilfe hatte ich Gorman am Dreibach begraben, am Seeufer, dort, wo wir so viele glückliche Stunden verbracht hatten. Ich gab ihm einen Speer und ein paar Feuersteinklingen, außerdem zog ich ihm noch meinen dicken Urukupelzmantel an. Er hatte ja nur diesen Bärenfellumhang. Ich wollte, dass es ihm gut ging, dass er alles hatte, wo immer er jetzt auch war. Nur ein kleiner Stein zierte sein Grab. Mit großer Mühe hatte ich ein Elchenband darauf geritzt.
Als Gorman beerdigt war, beschloss ich, Kauket nach Hause ins Wanifenhaus zu bringen, um ihn bei seiner Familie zu begraben. Vielleicht war das der schlimmste Moment, als Rainelf und ich mit Kaukets Leichnam den Dreibach verließen und Nephtys trafen, die den Eingang erfolgreich gegen herumstreunende Tráunakrieger verteidigt hatte.
Ich war so besorgt um sie, dass ich für eine Weile vergaß,
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