Die Wassermuehle
Schon kurz nach ihrem Einzug hatte sich Klaus mit ihm angefreundet und vergeblich darauf gehofft, dass sich die beiden Frauen ebenfalls gut verstehen würden. Mit Ralfs Scheidung hatte sich das Thema glücklicherweise erledigt. Hedi legte ein T-Shirt zusammen. „Du hattest um Viertel vor eins Dienstschluss. Jetzt ist es halb sechs.“
Klaus setzte sich aufs Sofa und schlug die Zeitung auf. „Entschuldige. Wir haben nicht auf die Uhr gesehen.“
„Das tut ihr nie, bevor das Bier alle ist.“
„Ist noch was zu essen da?“
Hedi zog ein Uniformhemd aus dem Korb. Sie hasste Bügeln. Es kam gleich nach Bettenbeziehen und Badputzen. Sie hatte es zu delegieren versucht, aber die Tipps aus der Annabella waren gescheitert. Ihre Familie konnte über Körbe voller zerknitterter Kleidungsstücke steigen und in zahnpastaverklebte Waschbecken schauen, ohne negative Empfindungen zu haben.
„Sag mal, hörst du mir zu?“
Hedi ließ beinahe das Bügeleisen fallen. „Wie?“
„Ich wüsste gern, ob ich etwas zu essen bekomme.“
„Deine Kinder haben es vorgezogen, sich von Chips und Pizza zu ernähren. Der Rest steht im Kühlschrank.“
„Von den Chips?“
„Von der Pizza!“
Klaus legte die Zeitung weg und stand auf. „Warum bist du so gereizt?“
„Das fragst du noch?“
Lächelnd nahm er ihr das Bügeleisen ab und stellte es auf die Ablage. Er fasste ihre Hände. „Ich habe eine ganze Stunde Zeit bis zum Nachtdienst.“
Hedi machte sich los. „Ich nicht.“
Er küsste sie auf die Nase. „Es gibt Dinge, die wichtiger sind als Bügeln, hm? Und mehr Spaß machen sie auch.“
„Ach ja? Wer beschwert sich denn ständig, dass er keine frischen Hemden mehr im Schrank hat!“
Klaus sah sie zerknirscht an. „Ich geb’s ja zu, dass ich für diese Art von hausfraulicher Tätigkeit hoffnungslos unbegabt bin. Aber dafür trage ich ab und zu den Müll runter und kümmere mich um den Wagen.“
„Du liebe Zeit! Das bisschen Tanken und Ölwechseln könnte ich auch noch übernehmen.“
Klaus grinste. „Sofort, wenn du willst. Zur Belohnung darfst du eine Woche lang harte Frühstückseier kochen.“
Früher hätte Hedi ihm lachend in die Seite geboxt. Nach einer kleinen Verfolgungsjagd durchs Wohnzimmer hätte er sie ins Schlafzimmer getragen und später die Wäsche zusammengelegt, dass es ein Graus war. Sie griff zum Bügeleisen. Klaus ging zum Sofa zurück.
„Dann halt nicht.“
„Was erwartest du? Dass ich vor Freude in die Luft springe, weil du fast fünf Stunden brauchst, um nach Hause zu kommen?“
„Es tut mir leid.“
Das Telefon klingelte. Hedi stellte das Bügeleisen beiseite und meldete sich. „Hallo Hedwig! Vivienne hier. Stell dir vor, ich wohne sozusagen in deiner Nachbarschaft! In Frankfurt mit Blick auf den Main. Ist das nicht fantastisch?“
„Mit wem spreche ich, bitte?“, fragte Hedi.
„Hedwig Ernestine, verheiratete Winterfeldt!“, kam es empört aus dem Hörer. „Hast du vergessen, dass wir jahrelang im selben Klassenzimmer gehockt haben?“
„Vivienne Chantal Belrot?“, fragte Hedi ungläubig.
Vivienne lachte. „Ich bin gerade beim Aufräumen und fand den Zettel, den du mir auf unserem Jahrgangstreffen gegeben hast. Und da dachte ich, ruf doch einfach mal an.“
„Mhm“, sagte Hedi. Auf dem Klassentreffen vor fünf Jahren hatte sie mit Vivienne kaum zehn Sätze gewechselt, die Verabschiedung miteingerechnet. Ihr goldunterlegtes Visitenkärtchen hatte sie noch auf dem Weg zum Parkplatz weggeworfen. Warum hatte Vivienne es mit ihrem Zettel nicht genauso gemacht? Fünf Minuten später wusste sie, dass ihre ehemalige Klassenkameradin eine international anerkannte Künstlerin geworden war, interessante und wichtige Leute kannte und demnächst eine bedeutende Ausstellung haben würde.
„Und da hast du Zeit zum Telefonieren?“
„Ich möchte meine alte Freundin Hedwig an meinem Glück teilhaben lassen!“
Hedi konnte sich nicht erinnern, dass sie und Vivienne irgendwann Freundinnen gewesen waren. Das Klassentreffen war ihr dafür umso besser im Gedächtnis. In ein roséfarbenes Seidenkleid gehüllt, schwebte Vivienne in den Saal. Erste Falten, graue Haare, leicht aus der Fasson geratene Formen? Sie hatte damit keine Probleme, und sie wusste es zu demonstrieren. Hedi fühlte sich hässlich neben ihr. Plötzlich war die Saalbeleuchtung zu hell, das Buffet zu üppig, das Benehmen der männlichen Anwesenden kindisch und der Abend ein Reinfall.
„Übermorgen habe ich einen
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