Die Wassermuehle
Federbett bis zum Kinn gezogen. Unten schauten seine nackten Füße heraus. Genauso hatte er dagelegen, als sie ihm nach der ersten gemeinsamen Nacht das Frühstück ans Bett brachte. Behutsam strich sie über sein dunkles Haar. Über der Stirn wurde es licht, an den Schläfen grau. Er sah blass aus. Sie küsste ihn wach. Er schlang die Arme um sie und zog sie aufs Bett.
„Hilfe!“, rief sie prustend. „Du erwürgst mich!“
„Ich liebe diese Art von Wecker.“
Hedi befreite sich lachend. „Ich habe Kaffee gekocht. Damit du fit wirst.“
„Das bin ich bereits“, sagte er fröhlich und griff nach ihrem Arm.
Hedi sprang auf und zog den Rollladen hoch. „Sieh zu, dass du unter die Dusche kommst, du Bettratte! Draußen scheint die Sonne.“
Klaus ließ sich seufzend ins Kissen zurückfallen. „Von wegen Bettratte! Wir hatten die ganze Nacht Stress. Außerdem habe ich eine viel bessere Idee: Du lässt den Rollladen wieder runter, und wir trinken den Kaffee im Bett.“ Er grinste. „Danach.“
Hedi öffnete das Fenster. Es ging in den Hof hinaus. Der Anblick des Hinterhauses war deprimierend. Die einzigen Farbflecke in der grauen Fassade waren blaue Plastiksäcke hinter den verwitterten Fenstern im oberen Stock. Aus der verbeulten Dachrinne hing ein Büschel vertrocknetes Gras. Von den Bewohnern des Hinterhauses wusste Hedi nur, dass sie jung waren und öfter wechselten. Den Hausbesitzer störte das nicht, solange sie die Miete pünktlich bezahlten.
Sie drehte sich zu Klaus um, der immer noch keine Anstalten machte aufzustehen. „Tante Juliette hat angerufen“, flunkerte sie. „Wir sind um vier Uhr zum Kaffee eingeladen.“ Sobald Klaus unter der Dusche war, würde sie mit ihr telefonieren. Sie war sicher, dass sie sich freuen würde.
„Das ist nicht dein Ernst!“
Klaus fuhr mit der gleichen Begeisterung zu Tante Juliette wie Hedi zu Bernd und Anette, aber sie fand, dass er ihr einen Gefallen schuldig war. Sie zog ihm die Decke weg.
„Los! Raus aus den Federn! So ein Wetter muss man ausnutzen!“
„Lass uns Kaffee trinken und anschließend ein bisschen spazierengehen. Aber bitte nicht im Odenwald, ja?“
„Juliette hat ...“
„Ruf sie an und sag ihr, wir besuchen sie ein anderes Mal.“
„Wenn du nicht mitkommst, fahre ich allein.“
„Hedi, bitte. Nach dem chaotischen Dienst heute Nacht verspüre ich nicht das geringste Verlangen, fast siebzig Kilometer durch die Weltgeschichte zu gurken.“
„Ich habe Juliette seit Monaten nicht mehr gesehen!“
Klaus stand auf. „Ich bin nicht in der Stimmung, mit dir zu streiten.“
„Und ich bin nicht in der Stimmung, ständig deine faulen Ausreden anzuhören, sobald ich meine Tante besuchen will. Also, was ist?“
„Lass es uns auf nächste Woche verschieben.“
„Nein.“ Hedi drehte sich um und ging aus dem Zimmer. Sie nahm ihre Jacke von der Garderobe, steckte Portemonnaie und Autoschlüssel ein und verließ die Wohnung.
Als sie den Opel aus der Parklücke manövriert hatte, schaute sie zum dritten Stock hinauf. Die Wohnzimmergardine bewegte sich. Von Klaus war nichts zu sehen. Glücklich fühlte sie sich nicht.
Auf der Landstraße nach Hassbach kehrte ihre gute Laune zurück. Sie ließ das Seitenfenster herunter; der kühle Fahrtwind zerzauste ihr Haar. Es herrschte kaum Verkehr. Im Gegensatz zur Stadt machte ihr das Autofahren auf dem Land Spaß. Stoppelfelder wechselten mit gepflügten Äckern, auf denen Wintergetreide spross, dann führte die Straße durch einen Buchenwald. Buntes Laub verdeckte den Chausseerand.
Als Hedi aus dem Wald herauskam, sah sie auf einem Hügel die ersten Häuser von Hassbach: modern, großzügig, mit Gauben, Erkern und roten Dächern. Der alte Ortskern verbarg sich in der Senke dahinter: etwa zwei Dutzend Fachwerkhäuser, die sich um eine kleine Kirche drängten. Sie bog nach rechts ab und folgte der Straße bis zu dem verwitterten Holzschild mit der Aufschrift Zur Eichmühle. Der Weg war ungepflastert und voller Schlaglöcher; Steine knallten gegen das Wagenblech. Selbst wenn Klaus ohne Murren in den Odenwald fuhr: Spätestens hier fing er an zu fluchen. Im Gegensatz zu ihm war Hedi der Meinung, dass es bei einem Auto, das knapp zweihundertfünfzigtausend Kilometer auf dem Buckel hatte, auf einen Kratzer mehr oder weniger nicht mehr ankam.
Der Weg durchschnitt ein Eichenwäldchen; zwischen den Bäumen gluckerte der Mühlbach talwärts. Es roch nach feuchter Erde. Hedi lächelte. Wie viele Jahre
Weitere Kostenlose Bücher