Die Wedding-Planerin
Ende der Trauzeremonie (ich wühle gerade unauffällig in meiner Tasche nach den Autoschlüsseln, die ich
anschließend brauchen werde), höre ich ihn plötzlich sagen: «… und bitte nun die Trauzeugen nach vorn zu kommen und dies zu unterschreiben.»
Nach vorn kommen? Unterschreiben? Das war so nicht besprochen. Etwas verdattert sehe ich mich nach dem anderen Trauzeugen
um und steige die Stufen Richtung Altar hinauf. Dafür werde ich mir den ganzen Abend anhören müssen, dass mich diese Ansage
wohl unvorbereitet getroffen hat, so bescheuert, wie ich geguckt hätte.
17 : 00 Uhr
Was für ein Bild: Über hundert Menschen strömen aus der Kirche, um dem Brautpaar zu gratulieren. Lena und Karl werden überhäuft
mit Umarmungen und guten Wünschen. Ich hänge derweil an Lenas Rücken fest: Wir hatten keine Zeit, die Schleppe hochzubinden,
und bevor sie von den Gästen kaputt getreten wird, halte ich sie hoch und den Brautstrauß in meinen Händen.
|227| 17 : 20 Uhr
Lena und Karl haben eine Überraschung für ihre, überwiegend auswärtigen, Gäste vorbereitet: Sie schenken uns eine Stunde
Stadtrundfahrt in einem roten Doppeldeckerbus inklusive Unterhaltung durch einen professionellen Stadtführer sowie diverse
Spirituosen. Die Laune steigt mit jedem Kilometer – Großstadtabenteuer Doppeldecker-Fahren. Sitzen ist Pflicht. Steht man auf dem oberen Deck, drohen Bäume oder Ampeln einen
zu köpfen. Schwierig, so Sekt und Bier an die Gäste auszuschenken, vor allem, wenn man auf diesen Schuhen durch den Tag
turnt.
18 : 30 Uhr
Sektempfang im Sonnenuntergang. Schöner hätte es sich kein Hollywood-Regisseur ausdenken können. Während die Gäste den Bus
verlassen und das Brautpaar sich als Gastgeber übt, walte ich meines Amtes: Der Service möchte wissen, wann die Vorspeise
starten kann, mit dem DJ muss ich die Abendplanung durchgehen, all die, die mich bisher nur per Mail kannten, möchten
mich persönlich begrüßen. Außerdem fehlen vier Gäste, die im Stau standen.
20 : 30 Uhr
Die Vorspeisen waren lecker, und das Hauptspeisenbuffet braucht noch einen Moment. Der passende Augenblick, das Mikrophon
zur Hand zu nehmen und meine Rede zu halten. Ich bin aufgeregt. Meine Stimme zittert ebenso wie meine Hände, die das Mikrophon
und das Manuskript halten. Ich erzähle ihnen und den Gästen noch einmal, wie sie sich kennengelernt haben und was es an Anekdoten
über die beiden eben so zu erzählen gibt. Und dann blicke ich Lena in die Augen:
«Lena. Wir haben eine tolle Zeit der Vorbereitung zusammen erlebt und ein sehr intensives Jahr miteinander verbracht. Vom
ersten Brautkleidgucken über den Druck der Einladungskarten |228| bis zum heutigen Tag haben wir viel Spaß gehabt, sind aufgeregt und genervt gewesen. Etwas mulmig wurde mir, als du neulich
meintest, du hättest das Gefühl, mich und nicht Karl heiraten zu wollen. Ich bin ganz froh, dass das nicht so gekommen
ist. Ohne weiteres hätte ich dich genommen. Aber bei Karl bist du schon ganz gut aufgehoben.
Jetzt bist du Ehefrau. Das klingt nicht nur sehr erwachsen, das ist es auch. Du trägst einen anderen Nachnamen und wirst
bald eine Familie gründen. Es gab einen sehr egoistischen Moment vor einer Woche, in dem mir der Gedanke daran, dass du
einen Schritt im Leben weiter gehst und ich hier bleibe, den Atem genommen hat. Kurz habe ich Panik gefühlt, die Angst,
dass wir uns und ich deine Freundschaft verliere. Wir uns auseinanderleben. Diese Angst ist heute einer Gewissheit gewichen:
Ja, du gehst weiter, und ja, ich bleibe, wo ich bin. Aber das bedeutet nicht, dass etwas zwischen uns weniger wird. Im
Gegenteil: Es wird mehr. Mit jedem Jahr und jedem Schritt von uns beiden auf unseren Wegen. Geh weiter, Lena. Sei glücklich
und zufrieden. Gründe eine Familie und genieße das Leben. Ich wünsche dir und Karl für euer Leben all das, was ihr braucht,
um glücklich zu sein. Und ich werde für dich, liebe Lena, da sein. So wie in den letzten 30 Jahren werde ich dich auch die kommenden 30 Jahre begleiten. Ich trinke auf euch!»
Mir rollen Tränen die Wange runter, die Gäste stehen mit erhobenen Gläsern ebenfalls gerührt an ihren Plätzen, Lena nimmt
mich in den Arm, und auch sie weint. Zeit für weitere Rührseligkeiten bleibt aber nicht. Denn schon gibt mir der Service
das Zeichen, dass das Buffet eröffnet werden kann.
Der Abend nimmt seinen Lauf – nach
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