Die Weiße Burg
Haufen, der nur aus Zufall badete, wenn er mal durch einen Fluss waten musste. Nicht die Art von Mann, mit der eine Schwester Zeit verbrachte, wenn es nicht sein musste. Das machte es einfacher, Geheimnisse zu bewahren, und manche Geheimnisse waren von grundlegender Bedeutung. Und manchmal auch Geheimnisse, die man vor denen hatte, die anscheinend auf derselben Seite waren. Egwene konnte sich an eine Zeit erinnern, wo sie nicht so gedacht hatte, aber das war ein Teil der Vergangenheit, die sie hatte zurücklassen müssen. Das hier war eine andere Welt, mit ganz anderen Regeln als in Emondsfelde. Dort bedeutete ein Fehltritt, sich vor dem Frauenkreis rechtfertigen zu müssen. Hier bedeutete ein Fehltritt den Tod oder Schlimmeres, und nicht nur für sie allein.
»Die Sitzenden im Turm sollten zu Gesprächen bereit sein«, meinte Carlinya seufzend. »Ihnen muss klar sein, dass bei anhaltender Belagerung Lord Gareths Chancen steigen, seine Schiffe zu finden. Aber ich weiß nicht, wie lange sie gesprächsbereit sein werden, wenn ihnen klar wird, dass wir uns nicht ergeben werden.«
»Darauf wird Elaida bestehen«, murmelte Myrelle, aber sie meinte es nicht als Widerspruch, sondern sagte es zu sich selbst, und Sheriam erschauderte und zog den Umhang enger, als hätte sie zugelassen, dass die Kälte sie berührt.
Nur Beonin sah glücklich aus, sie saß eifrig und aufrecht in ihrem Sattel, und das honigblonde Haar umrahmte ein breit lächelndes Gesicht in der Kapuze. Aber sie zwang niemandem ihre Meinung auf. Sie war gut bei Verhandlungen, das sagte jeder, und sie wusste, wann sie warten musste.
»Ich habe doch gesagt, dass Ihr anfangen könnt«, sagte Egwene. Nicht, dass sie es anders denn als Zurechtweisung gemeint hatte, aber wenn man nach den Drei Eiden leben wollte, dann musste man zu dem stehen, was man sagte. Sie konnte es nicht erwarten, den Eidstab zu berühren. Danach wäre alles viel einfacher. »Achtet nur darauf, dass Ihr jedes Wort sorgfältig überlegt. Wenn sie nicht alle glauben, dass wir uns Flügel haben wachsen lassen, um herzufliegen, dann müssen sie Verdacht schöpfen, dass wir das Schnelle Reisen wieder entdeckt haben, aber sie können nicht sicher sein, bevor es jemand bestätigt. Es ist besser für uns, wenn sie keine Gewissheit haben. Das muss ein Geheimnis sein, das Ihr so sicher bewahrt wie das Geheimnis unserer Spione in der Burg.«
Das ließ Myrelle und Anaiya zusammenzucken, und Carlinya sah sich furchtsam um, obwohl weder ein Behüter noch ein Soldat nahe genug war, um sie zu verstehen, solange sie nicht schrien. Morvrin blickte nur noch mürrischer drein. Sogar Nisao sah fast so aus, als hätte sie nichts mit der Entscheidung zu tun, heimlich Schwestern in die Burg zurückzuschicken, die angeblich Elaidas Rückrufbefehl folgten. Der Saal hätte vielleicht mit Freude erfahren, dass es in der Burg zehn Schwestern gab, die Elaidas Autorität nach Kräften untergruben, selbst wenn diese Bemühungen bis jetzt kein Ergebnis erbracht hatten, aber die Sitzenden würden definitiv nicht erfreut sein, wenn ihnen klar wurde, dass man es geheim gehalten hatte, weil diese Frauen fürchteten, einige der Sitzenden könnten tatsächlich Schwarze Ajah sein. Da hätten Sheriam und die anderen genauso gut ihre Treueide für Egwene enthüllen können. Das Ergebnis wäre vermutlich nicht anders ausgefallen. Bis jetzt hatte der Saal noch nicht befohlen, dass jemand eine Prügelstrafe mit Ruten erhielt, aber so wie sich die meisten Sitzenden darüber ärgerten, dass Egwene den Verlauf des Krieges maßgeblich bestimmte, wäre es keine große Überraschung gewesen, wenn sie sich auf die Gelegenheit gestürzt hätten, allen zu zeigen, dass sie noch immer über Autorität verfügten, während sie ihrem Missfallen gleichzeitig gewaltsam Ausdruck verliehen.
Beonin war anscheinend als Einzige gegen diese Entscheidung gewesen - zumindest bis offensichtlich wurde, dass die anderen es trotzdem machen würden -, aber auch sie holte tief Luft. In ihrem Fall mochte die plötzliche Reaktion eine Rolle spielen, dass ihr gerade aufgegangen war, worauf sie sich da eigentlich einließ. Überhaupt jemanden in der Burg zu finden, der zu einem Gespräch bereit war, das war möglicherweise schon eine entmutigende Aufgabe. Augen-und-Ohren in Tar Valon konnten nur Gerüchte über die Ereignisse in der Burg liefern; Neuigkeiten aus der Burg selbst kamen nur tröpfchenweise von Schwestern, die sich ins Tel'aran'rhiod begaben, um
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