Die weiße Frau von Devils Rock
ihre Schultern ein wenig nach vorne, um sich noch kleiner zu machen als sie ohnehin war. Sie kannte die Zornesausbrüche ihres Mannes nur zu gut, doch so weit, sie zu schlagen, war er bis jetzt noch nie gegangen.
"Bitte Peter, lass uns in Ruhe über alles reden."
"Nicht reden, Darling", spöttelte er und kam mit seinem Gesicht ganz nahe. Seine Lippen streichelten erneut ihren Hals und wanderten immer tiefer, als würde er in Leidenschaft entbrennen.
Plötzlich stieß er sie so heftig von sich, dass sie mit einem lauten Aufschrei erneut zu Boden stürzte. "Du stinkst nach McGregor", schrie er sie an. "Geh mir aus den Augen und lass dich hier nie wieder blicken."
Schluchzend versuchte Serena aufzustehen. Ihr langer bauschiger Rock hatte sich so unglücklich um ihre Beine gewickelt, dass sie erneut umfiel und sich versehentlich an seinen Beinkleidern festhielt. Hilflos schaute sie zu ihm auf.
In diesem Moment sauste der dicke Prügel, den er die ganze Zeit über in der anderen Hand gehalten hatte, gnadenlos auf sie hinunter. Sie spürte nur noch den Aufprall des nassen Holzes, dann wurde es dunkel um sie.
Unbemerkt war die Türe geöffnet worden. Thissa stand mit weit aufgerissenen Augen da und starrte den Mann an, der ihr Vater war. Sie sagte nichts, sie weinte nicht und sie schrie auch nicht. Sie stand nur da wie versteinert.
Peter Barrymore ließ den schweren Holzpflock fallen. Dann tappte er schwankend auf das Kind zu. Langsam hob er beide Hände, als wollte er sie um Thissas Hals legen.
"Nein." Die Stimme des Mädchens klang wie das Hauchen des Herbstwindes. Mit einer Hand tastete es nach der dicken Jacke, die die Mutter ihr selbst gemacht hatte, und mit der anderen griff sie nach der Schublade, in der die Mutter ihre persönlichen Dinge aufbewahrte. Dort lag das Buch, das für Serena der einzige Besitz war. Sie hatte es von ihrer Mutter geschenkt bekommen an dem Tag, als sich die einzige Tochter gegen ihren Willen mit Peter Barrymore versprochen hatte.
"Komm her, du kleiner Teufel. Wenigstens du wirst…" Er grinste.
Das Kind griff nach dem Buch, dann drehte es sich um und rannte davon, ohne auch nur einmal Halt zu machen. Bald war es um die Wegbiegung verschwunden, wo vor kurzer Zeit erst die Mutter gestanden hatte.
Peter Barrymore stand noch immer an der Tür, mit erhobenen Händen und leerem Blick. Es schien, als ob alles Leben aus ihm gewichen sei.
Einige Wochen später fand man Peter Barrymore. Er hing an einem dicken Baumstamm nicht weit von seinem Haus entfernt. Von Frau und Kind fehlte jede Spur. Niemand wusste, wann die beiden verschwunden waren, denn keiner vermisste sie, niemand suchte sie.
Doch von diesem Jahr an wurde immer wieder eine weiße Frau in der Nähe von Devils Rock gesehen, jenem mächtigen Felsbrocken mitten im Wald, wo sich Serena Barrymore und Laird Andrew McGregor getroffen hatten. Man sagte, wenn die weiße Frau von Devils Rock über das Moor schwebte, würde das Unglück für einen McGregor bedeuten, manchmal auch nur für jemanden, der auf dem Grund der McGregors wohnte oder sonst irgendwie mit ihnen zu tun hatte.
Diese Sage hielt sich hartnäckig in den Highlands. Sie wurde nie bewiesen aber auch nicht widerlegt. Man glaubte ganz einfach daran.
Und manchmal, in Vollmond hellen Nächten, kann man sie auch heute noch über das Moor schweben sehen, wunderschön und sehr traurig. Jeder, der ihr begegnet, wird von derselben Traurigkeit befallen wie die weiße Frau von Devils Rock.
2. Kapitel
Ein blasser Mond stand am nachtschwarzen Himmel und warf sein fahles Licht ins Zimmer. Leises Stöhnen drang aus dem Bett, dessen Seidendecke eine schlanke, nicht sehr große Gestalt bedeckte.
"Nicht, du darfst es nicht, Dad. Bitte lass mich", stöhnte das Mädchen, das die Augen krampfhaft geschlossen hielt. Es drehte sich von einer Seite auf die andere, und das Stöhnen wurde immer lauter.
Leise wurde die Tür geöffnet, eine bildhübsche junge Frau mit langen, etwas verwirrten Haaren schaute ins Zimmer. "Christina, hast du wieder einen Alptraum?", flüsterte sie und trat vollends ein, ohne auf eine Antwort zu warten. Sie setzte sich an den Bettrand und strich voll Liebe und Mitleid über das erhitzte Gesicht des Mädchens.
Christina war ein auffallend hübsches Kind. Die samtweiche Haut verlieh ihr ein engelsgleiches Aussehen, und über das Seidenkissen ergoss sich eine Flut
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