Die weiße Garde
Hochzeit, im dünnen Gefäß der Turbinschen Beziehungen ein Riß entstanden, durch den das gute Wasser unmerklich entwich. Das Gefäß war nun trocken. Die Hauptursache lag wahrscheinlich in den zweischichtigen Augen des Hauptmanns im Generalstab Sergej Iwanowitsch Talberg.
Ach, ach … Wie dem auch sei, die vordere Schicht war jetzt deutlich zu lesen. Sie zeigte schlichte menschliche Freude über die Wärme, das Licht und die Sicherheit. Dahinter aber lag eine sichtbare Unruhe, und die hatte Talberg jetzt mitgebracht. Die hinterste Schicht war natürlich wie immer verborgen. Jedenfalls war Talbergs Gestalt nichts anzusehen. Sein Koppel war breit und hart. Von den beiden weißen Abzeichen – von der Akademie und der Universität – ging ruhiger Glanz aus. Die hagere Gestalt drehte sich unter der schwarzen Uhr wie ein Automat. Talberg war sehr durchgefroren, lächelte aber allen wohlwollend zu. Auch in diesem Wohlwollen war Unruhe zu spüren. Nikolka mit seiner langen Schnüffelnase bemerkte das als erster. Talberg erzählte langsam, die Worte dehnend, in fröhlichem Ton, wie der Zug, der Geld in die Provinz beförderte und den er begleitet hatte, bei Borodjanka, vierzig Werst vor der STADT, von Unbekannten überfallen wurde. Jelena kniff vor Angst die Augen zu und drückte sich an die Abzeichen, die Brüder riefen wieder »sachte«, und Myschlajewski schnarchte in tiefem Schlaf, drei Goldkronen zeigend.
»Was waren das für welche? Petljura-Leute?«
»Dann«, sagte Talberg mit nachsichtigem und zugleich unruhigem Lächeln, »würde ich mich hier kaum mit euch … äh … unterhalten. Ich weiß nicht, wer sie waren. Wahrscheinlich demoralisierte Serdjukleute. Sie drangen in die Wagen ein, fuchtelten mit den Gewehren und schrien: ›Von wem kommt der Konvoi?‹ Ich antwortete: ›Von Serdjuk!‹ Sie wurden unsicher, traten von einem Fuß auf den anderen, und dann hörte ich das Kommando: ›Raus, Jungs!‹ Und sie verschwanden. Ich nehme an, sie suchten Offiziere, dachten wahrscheinlich, es war kein ukrainischer, sondern ein Offizierskonvoi.« Talberg schielte bedeutungsvoll auf Nikolkas Litzenwinkel, sah zur Uhr und sagte dann plötzlich: »Jelena, komm, ich muß dich sprechen.«
Jelena folgte ihm eiligst in ihr gemeinsames Schlafzimmer, wo auf dem Wandteppich überm Bett der Falke auf weißem Handschuh saß, wo auf Jelenas Schreibtisch weich die grüne Lampe brannte und auf dem Mahagonipostament bronzene Hirtenjungen auf dem Fronton der Uhr standen, die alle drei Stunden die Gavotte spielte.
Es kostete Nikolka viel Mühe, Myschlajewski wachzurütteln. Er wankte im Gehen, stieß zweimal polternd gegen die Tür und schlief in der Wanne wieder ein. Nikolka paßte auf, daß er nicht ertrank. Der ältere Turbin aber, ohne selbst zu wissen warum, ging ins dunkle Wohnzimmer, drückte sich ans Fenster und lauschte: Wieder waren in der Ferne dumpfe, wie durch Watte dringende harmlose Kanonenschüsse zu hören, selten und entfernt.
Die goldhaarige Jelena schien älter und häßlicher geworden zu sein. Ihre Augen waren gerötet. Mit hängenden Armen hörte sie Talberg traurig zu. Er, diese dürre Säule des Stabes, ragte über ihr auf und sagte erbarmungslos:
»Jelena, es geht nicht anders.«
Da sagte Jelena, sich mit dem Unvermeidlichen abfindend, folgendes:
»Nun, ich verstehe. Du hast natürlich recht. In fünf, sechs Tagen also? Vielleicht wendet sich doch noch alles zum Guten?« Talberg wurde schwer zumute. Er nahm sogar sein ewiges patentiertes Lächeln vom Gesicht. Es wurde älter, und jeder Punkt darauf zeigte Entschlossenheit. Jelena … Jelena. Ach, unsichere, schwankende Hoffnung. Fünf … sechs Tage. Aber Talberg sagte:
»Ich muß sofort weg. Der Zug fährt um ein Uhr nachts.«
Eine halbe Stunde später stand im Zimmer mit dem Falken alles kopf. Der Koffer lag auf dem Boden, sein innerer Segeltuchdeckel ragte hoch. Jelena, abgemagert und mit strengen Falten um den Mund, packte schweigsam Hemden, Unterhosen und Laken in den Koffer. Talberg kniete vor der unteren Schublade des Schranks und stocherte mit dem Schlüssel im Schloß. Und außerdem … und außerdem sah das Zimmer abscheulich aus wie jedes Zimmer, wo die Unordnung des Packens herrscht. Noch schlimmer ist es, wenn der Schirm von der Lampe abgenommen wird. Nehmt niemals, niemals den Schirm von der Lampe ab! Der Schirm ist heilig. Flieht niemals wie eine Ratte vor einer Gefahr ins Ungewisse! Träumt lieber am Lampenschirm, lest – laßt den
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