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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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herabgezogen und das Kinn schräg abgeschnitten, als hätte ein Bildhauer, der ein adeliges Gesicht modellierte, in einem Anflug wilder Phantasie plötzlich Lust bekommen, ein Stück Lehm abzubeißen und dem mannhaften Gesicht ein kleines, unregelmäßiges Frauenkinn zu geben.
    »Wo kommst du her?«
    »Vorsicht«, antwortete Myschlajewski schwach, »nicht zerschlagen. Da ist eine Flasche Wodka drin.«
    Nikolka hängte den schweren Militärmantel behutsam auf, aus der Tasche sah ein mit Zeitungspapier umwickelter Flaschenhals hervor. Daneben hängte er die schwere Mauserpistole im hölzernen Futteral, durch die der Kleiderständer mit dem Hirschgeweih ins Wanken kam. Erst jetzt drehte sich Myschlajewski zu Jelena um, küßte ihr die Hand und sagte:
    »Aus Krasny Traktir. Erlaube, daß ich bei euch übernachte, Lena. Ich schaff’s nicht bis nach Hause.«
    »Ach Gott, selbstverständlich.«
    Plötzlich stöhnte Myschlajewski, versuchte, sich auf die Finger zu pusten, aber die Lippen gehorchten ihm nicht. Die weißen Augenbrauen und der reifgraue gestutzte Schnurrbart begannen zu tauen, das Gesicht wurde feucht. Der ältere Turbin knöpfte ihm die Uniformjacke auf, tastete die Naht entlang und zog das schmutzige Hemd heraus.
    »Das hab ich mir gedacht. Es wimmelt.«
    »Hör zu, Nikolka.« Die erschrockene Jelena wurde hastig und vergaß für einen Moment Talberg. »In der Küche ist Holz. Lauf schnell und heize den Badeofen. Wie ärgerlich, daß ich Anjuta Ausgang gegeben habe. Alexej, zieh ihm rasch die Uniformjacke aus.«
    Im Eßzimmer bei den Kacheln sank Myschlajewski auf den Stuhl und hielt das Stöhnen nicht mehr zurück. Jelena lief hin und her und klirrte mit Schüsseln. Alexej und Nikolka knieten vor Myschlajewski und zogen ihm die eleganten Stiefel mit den Wadenschnallen aus.
    »Nicht so doll … och, langsam …«
    Widerliche fleckige Fußlappen wickelten sie auf. Darunter kamen lila Seidensocken zum Vorschein. Die Uniformjacke verfrachtete Nikolka gleich auf die kalte Veranda, damit die Läuse krepierten. Myschlajewski in seinem dreckstarrenden Batisthemd, über dem sich die schwarzen Hosenträger kreuzten, und in seiner blauen Hose mit den Schnürbändern sah dünn und schwarz, krank und bedauernswert aus. Die blau gewordenen Handflächen tasteten, patschten über die Kacheln.
    Schreckliches Gerücht …
Zieht heran … rote Bande …

    Am 12. Mai … verliebt …
    »Was sind das für Schurken!« schrie Turbin plötzlich auf. »Konnten sie euch nicht Filzstiefel und Pelzjacken geben?«
    »Filz … stiefel«, wiederholte Myschlajewski weinend. »Filz … stief …«
    In der Wärme schmerzten seine Hände und Füße unerträglich. Als er Jelenas Schritte in der Küche verhallen hörte, schrie er wütend und weinerlich: »Saustall!«
    Zischend und sich windend fiel er um, zeigte mit dem Finger auf die Socken und stöhnte:
    »Ausziehen, ausziehen, ausziehen …«
    Es roch widerlich nach denaturiertem Sprit, in einer Schüssel taute ein Schneeberg, und von einem Glas Wodka wurde der Leutnant Myschlajewski so betrunken, daß seine Augen ganz trüb aussahen.
    »Wird man etwa amputieren müssen? O Gott …« Er wiegte sich kummervoll im Sessel.
    »I wo, warte doch. Ist nicht so schlimm … So, der große Zeh ist angefroren. Das vergeht. Das hier auch.«
    Nikolka hockte sich hin und zog ihm saubere schwarze Socken an, und Myschlajewskis steife Arme fuhren in die Ärmel eines Bademantels. Auf seinen Wangen erblühten rote Flecke, der fast erfrorene Leutnant, am Ofen zusammengekauert, in sauberer Unterwäsche und im Bademantel, fühlte sich entspannt und neu belebt. Gräßliche Flüche prasselten ins Zimmer wie Hagelkörner aufs Fenstersims. Zur Nase schielend, beschimpfte er mit unflätigen Worten den Stab in den Wagen erster Klasse, einen Oberst Stschotkin, den Frost, Petljura, die Deutschen, den Schneesturm und schließlich mit den gemeinsten Gassenausdrücken sogar den Hetman der Ganzen Ukraine.
    Alexej und Nikolka sahen zu, wie der sich erwärmende Leutnant mit den Zähnen klapperte, und riefen von Zeit zu Zeit »sachte, sachte«.
    »Hetman, hä? … seine Mutter!« knurrte Myschlajewski. »Elitetruppen? Im Schloß? Hä? Und uns haben sie rausgejagt, so wie wir waren. Vierundzwanzig Stunden in Frost und Schnee … O Gott! Ich dachte, wir würden alle umkommen. Zum Teufel! Ein Offizier vom andern hundert Sashen entfernt, das soll eine Kette sein? Beinah wären wir wie Hühner abgeschlachtet worden!«
    »Moment

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