Die weiße Garde
auf dem Klavier Scherwinski begleitete! Dennoch würden, wenn Talberg und die Turbins nicht mehr auf der Welt waren, die Tasten wieder tönen, und der buntgekleidete Valentin würde an die Rampe treten, in den Logen würde es nach Parfüm duften, und zu Hause würden Frauen, vom Licht gefärbt, akkompagnieren, denn Margarete, wie auch Zar und Zimmermann, ist absolut unsterblich.
Am Klavier stehend, erzählte Talberg. Die Brüder schwiegen höflich und bemühten sich, die Augenbrauen nicht zu heben. Der jüngere aus Stolz, der ältere, weil er ein Waschlappen war. Talbergs Stimme zitterte.
»Beschützt Jelena.« Die vordere Schicht seiner Augen blickte bittend und unsicher. Er stand noch eine Weile unschlüssig, sah dann zerstreut auf die Taschenuhr und sagte hastig:
»Ich muß weg.«
Jelena zog ihren Mann am Hals zu sich herunter, bekreuzigte ihn flüchtig und küßte ihn. Talberg stach beide Brüder mit den Spitzen seines kurzgestutzten schwarzen Schnurrbarts. Dann öffnete er die Brieftasche, prüfte nervös einen Packen Papiere, zählte in dem mageren Fach das ukrainische Papiergeld und die deutschen Mark und schritt lächelnd, angespannt lächelnd, und sich umdrehend hinaus. Klirr … klirr … In der Diele das Oberlicht, im Treppenhaus das Poltern des Koffers. Jelena lehnte sich über das Geländer und sah zum letztenmal die Spitze des Baschliks.
Um ein Uhr nachts fuhr vom fünften Gleis, hinaus aus der mit den Friedhöfen leerer Güterwaggons vollgestopften Dunkelheit, mit hoher dröhnender Geschwindigkeit und glutatmendem Zugloch ein krötengrauer Panzerzug ab und heulte wild. Er durchfuhr acht Werst in sieben Minuten, erreichte Post-Wolynski mit seinem Lärm, Gepolter und Laternenlicht und bog, ohne die Geschwindigkeit zu vermindern, über rasselnde Weichen von der Hauptstrecke ab. In den halberfrorenen Junkern und Offizieren, die in Güterwaggons kauerten oder direkt bei Post-Wolynski Kette standen, schwache Hoffnung und Stolz erweckend, fuhr er kühn, nichts fürchtend, in Richtung der deutschen Grenze. Zehn Minuten nach ihm passierte ein Personenzug mit Dutzenden erleuchteter Fenster und einer riesigen Lok Post. Die pfostenartig massiven, bis über die Augen eingemummten deutschen Posten auf den Perrons huschten vorbei, ihre breiten schwarzen Bajonette blinkten. Die Weichenwärter, denen vor Kälte der Atem stockte, sahen die langen Pullmanwagen auf den Gleisfugen federn, die Fenster warfen Lichtgarben auf sie. Dann verschwand alles, und die Seelen der Junker füllten sich mit Neid, Wut und Sorge.
»Uuuch … diese Halunken!« stöhnte es irgendwo an der Weiche, und über die Güterwaggons peitschte ein glühender Schneesturm. Post-Wolynski wurde in dieser Nacht zugeschneit.
Im dritten Wagen von vorn saß in einem Abteil mit gestreiften Überzügen, höflich und untertänig lächelnd, Talberg einem deutschen Leutnant gegenüber und sprach deutsch.
»O ja«, ließ sich von Zeit zu Zeit der dicke Leutnant vernehmen und kaute an seiner Zigarre.
Nachdem er eingeschlafen, jede Abteiltür zugezogen und im warmen, blendendhellen Wagen ein monotones Gemurmel eingetreten war, trat Talberg in den Gang, zog den blassen Fenstervorhang mit den durchsichtigen Buchstaben »S-W-Bahn« zurück und starrte lange in die Dunkelheit. Dort sausten Funken vorbei, stiebte Schnee, und vorn jagte die Lok und pfiff so schrecklich, so unangenehm, daß selbst Talberg mißmutig wurde.
3
Zu dieser nächtlichen Stunde herrschte unten in der Wohnung des Hausbesitzers, des Ingenieurs Wassili Iwanowitsch Lissowitsch, völlige Stille, die nur von Zeit zu Zeit im kleinen Eßzimmer von einer Maus gestört wurde. Die Maus knabberte aufdringlich und geschäftig im Büfett an einer alten Käserinde und verfluchte die Knauserigkeit der Ingenieursgattin Wanda Michailowna. Die also verfluchte, knochendürre, eifersüchtige Wanda schlief fest im dunklen Schlafzimmer der kühlen und feuchten Wohnung. Der Ingenieur aber war noch wach und hielt sich in seinem mit Möbeln und Büchern vollgestopften, mit Vorhängen verhängten und demzufolge urgemütlichen Arbeitszimmer auf. Eine Stehlampe, die eine ägyptische Prinzessin darstellte, tauchte mit ihrem grüngeblümten Schirm das ganze Zimmer in zarte und geheimnisvolle Farben, und auch der Ingenieur in seinem tiefen Ledersessel sah geheimnisvoll aus. Geheimnis und Zwiespältigkeit der unsicheren Zeit drückten sich vor allem darin aus, daß der Mann im Sessel gar nicht Wassili Iwanowitsch
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