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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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liegen kann? Der Mann und sein Schatten liefen vom feuerspeienden Leib der Lok bis zu der dunklen Wand des ersten Wagens mit der schwarzen Aufschrift:
    Panzerzug »Proletarier«.
    Der Schatten, bald groß, bald häßlich bucklig, aber immer mit spitzem Kopf, pflügte mit seinem schwarzen Bajonett den Schnee. Die bläulichen Strahlen der Laterne hingen hinter ihm. Zwei bläuliche Monde schienen auf dem Bahnsteig, sie wärmten aber nicht, waren trügerisch. Der Mann suchte nach einer Wärmequelle, fand aber nichts, er biß die Zähne zusammen, bewegte die Zehen ohne jede Hoffnung, sie zu erwärmen, und starrte zu den Sternen auf. Am bequemsten war es ihm, den Stern Mars zu betrachten, der vorn, bei Slobodka, am Himmel leuchtete. Sein Blick überwand Millionen Werst und blieb auf dem rötlichen, lebendigen Stern haften. Der dehnte sich und schrumpfte wieder, war sichtlich lebendig und hatte fünf Zacken. Manchmal, wenn die Müdigkeit unerträglich wurde, blieb der Mann stehen, stützte den Gewehrkolben in den Schnee und sank im selben Moment in einen durchsichtigen Schlaf, aus dem weder die schwarze Wand des Panzerzuges noch die Geräusche der Station wichen. Aber dazu gesellten sich andere. Im Traum wuchs das Himmelsgewölbe riesig groß. Es war rot und ganz mit lebendig funkelnden Venus sternen übersät. Das Herz des Mannes füllte sich mit Glück. Da erschien ein unbekannter, unbegreiflicher Reiter im Kettenhemd und näherte sich ihm freundlich. Der schwarze Panzerzug drohte aus dem Traum zu verschwinden, statt seiner wuchs das im Schnee begrabene Dorf Malyje Tschugry auf. Er, der Mann, steht am Dorfeingang, und ihm entgegenkommt sein Landsmann und Nachbar.
    »Shilin?« fragte der Mann tonlos, nur mit dem Geist, und sogleich hämmerte die wachsame Stimme in seiner Brust drei Worte:
    »Posten … Wachhabender … erfrierst.«
    Mit übermenschlicher Anstrengung hob er das Gewehr auf, nahm es in den Arm, riß wankend die Füße vom Boden los und ging weiter.
    Hin – zurück. Hin – zurück. Das Himmelsgewölbe seines Traumes verschwand. Über die ganze kalte Welt spannte sich dunkelblaue Seide, durchbohrt von dem todbringenden schwarzen Rüssel des Geschützes. Am Himmel f limmerte die rötliche Venus, und im blauen Mond der Laterne funkelte antwortend auf der Brust des Mannes ein anderer Stern. Er war klein und hatte auch fünf Zacken.

    Die aufgescheuchte Schlaf trunkenheit warf sich hin und her. Sie flog den Dnepr entlang, an den toten Anlegestellen vorbei, und fiel auf Podol nieder. Dort waren die Lichter längst erloschen. Alles schlief. Nur an der Ecke der Wolynskaja-Straße brannte in einem zweistöckigen Steinhaus in der Wohnung des Bibliothekars noch Licht. Dort saß in einem kleinen Raum, der wie ein billiges Hotelzimmer aussah, im Licht der Lampe mit gläsernem Buckel der blauäugige Russakow. Vor ihm lag ein schweres Buch in gelbem Ledereinband. Die Augen folgten den Zeilen langsam und feierlich.
    »Und ich sah die Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott, und Bücher wurden aufgetan, und ein anderes Buch ward aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken.
    Und das Meer gab die Toten, die darin waren; und der Tod und die Hölle gaben die Toten, die darin waren; und sie wurden gerichtet, ein jeglicher nach seinen Werken.
    Und so jemand nicht ward gefunden geschrieben in dem Buch des Lebens, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl.

    Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde verging, und das Meer ist nicht mehr.«
    Je weiter Russakow das erschütternde Buch las, desto heller wurde sein Verstand; er glich einem funkelnden Schwert, das die Finsternis durchdrang.
    Qualen und Krankheiten kamen ihm unwichtig, unwesentlich vor. Sein Leben fiel von ihm ab wie Borke von einem vergessenen dünnen Zweig im Wald. Er sah die blaue, bodenlose Dunkelheit der Jahrhunderte, den Korridor der Jahrtausende. Er verspürte keine Angst, nur weise Demut und Ehrfurcht. Frieden legte sich auf seine Seele, und in Frieden kam er zu den Worten:
    » … alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.«

    Der dunkle Schleier teilt sich und läßt den Leutnant Scherwinski zu Jelena ein. Seine pomadisierten Haare stehen gesträubt. Seine vorstehenden Augen lächeln dreist.
    »Habe die Ehre«, sagt er und

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