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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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die sieben verstaubten und vollgepfropften Zimmer, in denen die jungen Turbins aufgewachsen waren, das alles überließ die Mutter in schwerster Zeit den Kindern; schon schwächer werdend und nach Atem ringend, klammerte sie sich an die Hand der weinenden Jelena und sagte:
    »Lebt in Eintracht …«

    Aber wie? Wie sollte man leben?
    Alexej Wassiljewitsch, der Älteste, ein junger Arzt, war achtundzwanzig Jahre alt, Jelena vierundzwanzig, ihr Mann, Hauptmann Talberg, einunddreißig und Nikolka siebzehneinhalb. Ihr Leben wurde just zu Beginn seiner Blüte entwurzelt. Der Sturm hatte schon lange von Norden her geweht, und er wütete je länger, desto schlimmer. Der älteste Turbin war nach dem ersten Schlag, der die Berge am Dnepr erschüttert hatte, in die Heimatstadt zurückgekehrt. Nun würde, so hoffte man, alles sich beruhigen und das in den Schokoladebüchern geschilderte Leben anfangen, doch im Gegenteil, es wurde immer schrecklicher. Im Norden tobte der Sturm, und hier unter den Füßen grollte und brodelte der aufgewühlte Schoß der Erde.
    Das achtzehnte Jahr eilte seinem Ende zu und wurde von Tag zu Tag schrecklicher und widerhaariger.

    Die Wände werden einstürzen, der Falke wird erschrocken vom weißen Handschuh auffliegen, das Licht in der Bronzelampe wird erlöschen und die Hauptmannstochter im Ofen verbrennen.
    »Lebt in Eintracht«, hatte die Mutter den Kindern gesagt.
    Sie aber würden sich quälen und sterben.
    Einmal gegen Abend, kurz nach der Beerdigung der Mutter, kam Alexej Turbin zu Vater Alexander und sagte:
    »Ja, Trauer haben wir, Vater Alexander. Es ist schwer, die Mutter zu vergessen, noch dazu in so schrecklicher Zeit. Zumal ich gerade erst zurückgekehrt bin. Ich dachte, wir würden unser Leben in Ordnung bringen, und nun …«
    Er verstummte, und so, in der Dämmerung am Tisch sitzend, blickte er nachdenklich in die Ferne. Die Zweige des Kirchgartens hatten das Häuschen des Geistlichen ganz verdeckt. Es war, als begänne gleich hinter der Wand dieser engen, mit Büchern vollgestopften Studierstube ein geheimnisvoll wirrer Frühlingswald. Das dumpfe Brausen der abendlichen Stadt drang herbei, es duftete nach Flieder.
    »Was soll man tun, was soll man tun?« murmelte der Geistliche verlegen. (Er war immer verlegen, wenn er mit Menschen sprechen mußte.) »Alles liegt in Gottes Hand.«
    »Vielleicht geht all das eines Tages doch zu Ende, und es kommen bessere Zeiten?« fragte Turbin vor sich hin.
    Der Geistliche regte sich im Sessel.
    »Die Zeiten sind zweifellos schwer, sehr schwer«, murmelte er. »Aber man darf nicht den Mut verlieren.«
    Dann schob er plötzlich die weiße Hand aus dem schwarzen Ärmel seines Priesterrocks, legte sie auf einen Stoß Bücher und öffnete das oberste, da, wo das buntbestickte Lesezeichen lag.
    »Man darf nicht verzagen«, sagte er verlegen, aber irgendwie sehr überzeugend. »Verzagtheit ist eine große Sünde. Obwohl mir scheint, uns stehen große Prüfungen bevor. Ja, ja, große Prüfungen.« Er sprach immer sicherer. »In letzter Zeit, wissen Sie, sitze ich viel über den Büchern, natürlich aus meinem Fachgebiet, meist über Gottes Wort.«
    Er hob das Buch so, daß das letzte Licht vom Fenster auf die Seite fiel, und las:
    »Und der dritte Engel goß aus seine Schale in die Wasserströme und in die Wasserbrunnen; und es ward Blut.«

2
    Es war also ein weißzottiger Dezember. Rasch näherte er sich seiner Mitte. Schon war der Abglanz von Weihnachten auf den verschneiten Straßen zu spüren. Das achtzehnte Jahr würde bald zu Ende sein.
    Oberhalb des zweigeschossigen Hauses Nummer dreizehn, das eine ganz seltsame Bauart hatte (die Turbinsche Wohnung lag zur Straße im ersten Stock und zu dem kleinen, zum Haus her abfallenden gemütlichen Hof im Erdgeschoß), in dem Garten, der an einem steilen Berg klebte, hingen die Zweige, vom Schnee gebeugt. Der Berg war verschneit, und die Schuppen im Hof hatten sich in einen riesengroßen Zuckerhut verwandelt. Das Haus hatte eine Generalsmütze aufgesetzt, in der unteren Etage (zur Straße hin Erdgeschoß, zum Hof aber, unter Turbins Veranda, Kellergeschoß) glomm das gelbliche Licht beim Ingenieur, Feigling, Bourgeois und Scheusal Wassili Iwanowitsch Lissowitsch auf, und in der oberen Etage leuchteten hell und lustig die Fenster der Turbins.
    In der Dämmerung gingen Alexej und Nikolka in den Schuppen nach Holz.
    »Oh, verdammt wenig Holz. Sieh mal, sie haben wieder gestohlen.«
    Aus Nikolkas Taschenlampe

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