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Die weiße Hexe

Titel: Die weiße Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Maria Hilliges
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Ich glaube, John wertete Bobbys Fahrradcrash schließlich in die erste Männlichkeitsprüfung seines Sohnes um.
    Denn der einzige Schluß, den er aus der Angelegenheit zog, war:
    „Morgen kaufe ich für Bobby ein neues Fahrrad.“
    „Aber John, morgen ist Weihnachten. Da haben alle Geschäfte zu!“
    „Okay, dann der Tag nach morgen.“
    „Da ist auch zu.“
    „Ilona, das ist typisch für dich. Ich bin gerade gekommen. Den weiten Weg von Nigeria zu euch hier nach München. Und du streitest mit mir.“
    Ich habe erst später erfahren, daß er nicht aus Nigeria gekommen war, sondern aus Augsburg. Gerade mal sechzig Kilometer. Und daß er schon seit zwei Wochen in Deutschland war. In Augsburg hatte einer seiner vielen Vettern eine Wohnung. Und der Vetter hatte eine Freundin, die eine Freundin ... Egal, zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns schließlich im Trennungsjahr.
    Von Johns Auftauchen an spielten weder meine ohnehin sehr stille, leidgeprüfte Mutter noch meine verdutzte Tochter Janet oder gar ich selbst eine Rolle. Wir waren abgemeldet und überließen John, meinem Vater und Bobby das Schlachtfeld. Mutter und ich backten Kuchen, und Janet gesellte sich zu uns. Ich futterte, gefrustet und ratlos. Ich hätte John einfach rausschmeißen sollen! Wir lebten doch in Scheidung. Aber ich bin viel zu nachgiebig, viel zu rücksichtsvoll. Die armen Kinder - da kommt der Daddy an Weihnachten
    vorbei, und den setzt man an so einem Festtag eben nicht einfach vor die Tür. Was hätten Janet und Bobby von mir denken sollen?
    Vielleicht war mein Rückzug vom weihnachtlichen Schlachtfeld schuld oder der viele Glühwein. Auf jeden Fall hatten mein Noch-Mann und sein Noch-Schwiegervater plötzlich einen Narren aneinander gefressen. Sie redeten und redeten. Wenn ich mal dazukam, wunderte ich mich über ihre spezielle Kommunikation.
    John sprach afrikanisches Englisch und konnte nur wenige deutsche Worte, Papa pflegte sich auf bayerisch zu unterhalten. Ob John alles verstand? Ob mein Vater alles richtig mitbekam? Leider verschwendete ich daran nicht genug Gedanken, amüsierte mich nur insgeheim über die beiden angetrunkenen Weihnachtsmänner.
    Was sich bitter rächen sollte. Denn so wunderte ich mich nicht weiter über die Rechenmaschine vor den beiden, deren papierener Auswurf im Laufe des Abends Girlandenausmaße annahm. Und konnte nicht verhindern, daß John von meinem Vater herzlich eingeladen wurde, über Silvester zu bleiben.
    Welches gemeinsame Interesse hatten mein weißer Vater und mein schwarzer Mann an diesem Abend wohl ausgemacht? Natürlich: Autos. Damit nahm ein Verhängnis seinen Lauf, dessen Ausgang ich nicht im Traum geahnt hätte.
    John und mein Vater beschlossen unter dem Weihnachtsbaum johns vom reichlich sprudelnden Öl gesegnete Heimat Nigeria mit Autos zu versorgen. Nun wußten die beiden von Autos mal gerade so viel, daß die Dinger möglichst groß zu sein hatten, schick aussehen mußten und viele PS unter der Haube haben sollten. Vom Handel damit hatten sie auch ganz konkrete Vorstellungen: kaufen, aufs Schiff packen, wieder entladen, gewinnbringend verscherbeln.
    Den Anfangwollten sie mit zehn Stück machen. In Deutschland billig kaufen, in Nigeria zu astronomischen Preisen verkaufen.
    Johns älterer Bruder Moses sollte das Unternehmen in Lagos in die Wege leiten und ein Vetter der beiden, der beim Zoll arbeitete, für eine reibungslose Einfuhr sorgen. Der Autohandel stand von Anfang an unter keinem guten Stern.
    Papa und John kauften vor allem Peugeots, weil die angeblich in Nigeria besonders gefragt waren, und zwei Mercedes. Vielleicht lag es am deutschen Verkehr, den John nicht gewohnt war, vielleicht ließen es die beiden Herren auch bei der Auswahl der Wagen an Sorgfalt mangeln. Jedenfalls kamen vier der zehn Wagen mit Beulen, defekter Ölpumpe und kaputtem Vergaser am Verschiffungshafen in Bremen an. Meine zaghaften Einwände, daß man für im Schnitt 3 000 Mark pro Auto eben keine Nobelschlitten bekomme, hatten nicht gegolten. Was versteht eine Frau schon von Autos? Außerdem: „In Nigeria kann man alles billig reparieren.“
    In diesem Stil ging es weiter: Meerwasser ist salzig. Daß für Autos eine Meerwasser-Dauerdusche auf Deck nicht gerade wertsteigernd ist, sollte man berücksichtigen. Aber mein Vater wiegelte ab: „Unter Deck kommt zu teuer, Ilona. Ist doch billiger, sie hinterher zu waschen und ordentlich zu polieren. Wenn die Wagen in Lagos ankommen, nimmt John sie in Empfang und

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