Die weiße Hexe
stand, sah sie mich von oben bis unten an. „Hey, du siehst verdammt noch mal aus wie eine Hexe, die den Teufel besiegt hat,
sister!“
Aus der Tiefe ihres mächtigen Leibes stieg ein dröhnendes Gelächter auf, das sie schüttelte. Die Umstehenden wichen zurück, in ihren Gesichtern stand sprachloses Entsetzen. Aus Milas weiten Gewändern war eine Patronenhülse gefallen. Langsam kullerte sie vor meine Füße und hinterließ dabei eine dünne rote Spur aus Blut.
EIN NEUER ANFANG
Im warmen Schein des Windlichts leuchtete der Messingmantel der Patronenhülse auf dem Tisch von Abiolas Veranda.
„Eine erstaunliche Frau, diese Mila“, lächelte Abiola vielsagend.
Allerdings machte er keinen Hehl aus seiner Überzeugung, daß er sie für eine typisch nigerianische Trickserin hielt. Wenngleich er keine logische Erklärung anzubieten hatte. „Ich habe mir abgewöhnt“, sagte er, „in meinem Land nach Logik zu fragen.
Nigeria funktioniert immer dann am besten, wenn die Menschen aus dem Bauch heraus leben. In den ersten Jahren nach meiner Rückkehr aus Europa kam ich damit überhaupt nicht zurecht, inzwischen sehe ich aber ein, daß ich meine Landsleute so nehmen muß, wie sie sind.“
Seine Frau Emeta interessierte an meinen Erzählungen vor allem der edle Victor - ebenso wie meinen Mann Peter, der sich in dem Punkt allerdings vornehm zurückhielt. Ob es denn wahr sei, daß ich alle Fotos von ihm verbrannt hätte? Ich nickte bedauernd. Da zog Abiola einen Papierabzug hervor und legte ihn wortlos auf den Tisch. Das Foto zeigte einen Mann, der auf ein Polo-Pony steigt -
Victor!
„Sieht ja recht beeindruckend aus“, brummelte Peter und reichte das Foto an Emeta weiter, die es wesentlich länger besah. „Schade um diesen Mann“, sagte sie nachdenklich.
Abiola erinnerte sich, daß er das Foto ein paar Tage vor dem Angriff des Falken gemacht hatte. Vor meiner Rückkehr nach Nigeria hatte er seine alten Fotokisten durchwühlt und darin auch die Patronenhülse wiedergefunden. Er berichtete, daß es tatsächlich so gekommen war, wie Victor es sich gewünscht hatte: Sein Vetter Opele wurde nach Sunnys Tod Stammeschief und neuer König.
Opele
hatte für diesen Aufstieg einen hohen Preis zu zahlen: Er mußte sich von seiner ersten Frau trennen, die ihre Arbeit als Anwältin nicht aufgeben wollte und von der Stammestradition keine Ahnung hatte, so daß sie dem Palast nicht vorstehen konnte. Er mußte eine junge Frau heiraten, die der Ältestenrat vorgeschlagen hatte.
Natürlich wollten Abiola und Emeta wissen, was aus John Wowo geworden ist. „An meinen großen Sohn Bobby“ - dieser Kartengruß kommt jedes Jahr einige Wochen nach Weihnachten bei meiner Mutter an. Hin und wieder findet sich auch ein Hinweis darauf, daß Bobby wieder einen neuen Bruder bekommen hat. Soweit ich weiß, sind es inzwischen sechs, die alle die Nachnamen von US-Präsidenten tragen.
„Es gibt Nigerianer, die geben ihren Töchtern die Namen von Autos“, schmunzelte Abiola vielsagend.
Emeta lieh mir einen ihrer hübsch bestickten Wrapper, nur so zum Spaß. „Er steht dir so gut!“ sagte sie, „du mußt ihn bei meiner Hochzeit tragen!“
Am nächsten Tag feierten wir auf dem Gelände der Uni von Benin City Abiolas Hochzeit. Peter und ich bewunderten die Gäste, die sich ausgelassen und anmutig zur afrikanischen Musik bewegten.
„Komm schon“, sagte ich und nahm Peters Hand, „laß uns mitmachen. Wir sind doch nicht zum Zusehen hier!“
Mein unmusikalischer Mann machte viel zu große Schritte und kam schnell ins Schwitzen. Nachdem er endlich Sakko und Krawatte abgelegt hatte und sich von mir führen ließ, wurden seine Bewegungen allmählich geschmeidiger und verloren ihre deutsche Eckigkeit. Im Gewühl der Tanzfläche trafen wir auf Abiola und Emeta, die uns zuzwinkerte.
„Afrika bekommt euch gut“, rief Abiola über die laute Musik hinweg.
„Ihr solltet bald wiederkommen!“
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