Die Weisse Massai
kommen mit dem Rollstuhl, und ich werde mit all meinen Sachen in einen neuen Trakt des Spitals verlegt. Ich bekomme ein Zimmer mit WC, das vorne eine Glasfront, aber keine Tür hat. Von innen kann man den Raum nicht öffnen. In der Tür gibt es eine Luke, die für die Essensausgabe geöffnet wird. Der Trakt ist neu, und das Zimmer sieht freundlich aus, doch ich fühle mich schon jetzt als Gefangene.
Unsere Sachen werden zum Desinfizieren mitgenommen, und ich bekomme wieder die Spital-Uniform. Jetzt wird auch Napirai untersucht. Als man ihr Blut abzapft, schreit sie natürlich wie am Spieß. Mir tut sie unendlich leid, sie ist noch so klein, gerade sechs Wochen alt, und muß schon so viel leiden. Ich werde an eine Infusion gehängt und bekomme einen Krug mit Wasser, das mit einem halben Kilo Zucker gesüßt ist. Ich muß viel Zuckerwasser trinken, denn damit kann sich die Leber am schnellsten erholen. Dann brauche ich Ruhe, absolute Ruhe. Das ist alles, was man für mich tun kann. Mein Baby nehmen sie mit. Verzweifelt weine ich mich in den Schlaf.
Bei hellem Sonnenschein werde ich wach und weiß nicht, wie spät es ist. Die Totenstille versetzt mich in Panik. Man hört absolut nichts, und wenn ich Kontakt nach draußen will, muß ich klingeln. Daraufhin erscheint eine schwarze Schwester hinter der Glasscheibe, die mich durch die gelöcherte Luke anspricht. Ich will wissen, wie es Napirai geht. Sie wird die Ärztin holen. Es vergehen Minuten, die mir in dieser Stille wie eine Ewigkeit vorkommen. Dann betritt die Ärztin mein Zimmer. Ich frage erschrocken, ob sie sich denn nicht anstecken würde. Lächelnd beruhigt sie mich: »Einmal Hepatitis, nie mehr Hepatitis!« Sie hatte die Krankheit selbst schon vor Jahren.
Dann erhalte ich endlich eine gute Nachricht. Napirai ist völlig gesund, nur will sie absolut keine Kuhmilch oder Pulvermilch trinken. Mit zittriger Stimme frage ich, ob ich sie nun die ganzen sechs Wochen nicht mehr halten darf. Wenn sie die andere Nahrung bis morgen nicht akzeptiert, muß ich sie wohl oder übel stillen, obwohl die Ansteckungsgefahr enorm groß ist, erklärt die Ärztin. Ohnehin sei es ein Wunder, daß sie noch nicht infiziert ist.
Gegen fünf Uhr bekomme ich mein erstes Essen, Reis mit Kohl aus dem Wasser gezogen, dazu eine Tomate. Ich esse langsam. Diesmal behalte ich die kleine Portion bei mir, aber die Schmerzen kommen wieder, wenn auch nicht so stark. Napirai wird mir zweimal an der Scheibe gezeigt. Mein Mädchen schreit, und ihr Bäuchlein ist richtig hohl.
Am nächsten Mittag bringen mir die entnervten Schwestern mein kleines, braunes Bündelchen. Mich durchströmt ein tiefes Glücksgefühl, wie ich es schon lange nicht mehr empfunden habe. Gierig sucht sie nach meiner Brust und beruhigt sich beim Saugen. Beim Betrachten meiner Napirai wird mir klar, daß ich sie brauche, wenn ich die notwendige Ruhe und den Willen finden soll, diese Isolation zu überstehen. Während des Trinkens schaut sie mich mit ihren großen dunklen Augen unverwandt an und ich muß mich zusammenreißen, damit ich sie nicht zu fest an mich drücke. Als die Ärztin später vorbeischaut, sagt sie: »Ich sehe, ihr beiden braucht einander, um gesund zu werden oder es zu bleiben!« Endlich kann ich wieder lächeln und verspreche ihr, mir Mühe zu geben.
Täglich würge ich bis zu drei Liter extrem süßes Wasser hinunter, wobei ich mich fast übergeben muß. Da ich nun auch Salz bekomme, schmeckt das Essen etwas besser. Zum Frühstück gibt es Tee und eine Art Knäckebrot mit einer Tomate oder einer Frucht, zum Mittag- und Abendessen immer dasselbe: Reis mit oder ohne Kohl direkt aus dem Wasser gezogen. Alle drei Tage werden mir zur Untersuchung Blut und Urin abgenommen. Nach einer Woche fühle ich mich bereits besser, wenngleich noch sehr schwach.
Zwei Wochen später kommt der nächste Schlag. Am Urin haben sie festgestellt, daß meine Nieren nicht mehr richtig arbeiten. Ich hatte zwar Schmerzen im Kreuz, die ich aber auf das ewige Liegen zurückgeführt habe. Nun bekomme ich auch kein Salz mehr in das ohnehin fade Essen. Dafür wird mir ein Beutel für den Urin angeschlossen, was sehr schmerzhaft ist. Nun muß ich täglich aufschreiben, wieviel ich trinke, und die Schwester mißt anhand des Beutels, was wieder herauskommt. Da hatte ich endlich wieder Kraft für ein paar Schritte und bin nun von neuem ans Bett gefesselt! Wenigstens ist Napirai bei mir. Ohne sie hätte ich sicher keine Freude mehr am Leben.
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