Die Weisse Massai
Sie muß spüren, daß es mir nicht gut geht, denn seit sie bei mir ist, weint sie nicht mehr.
Mein Mann ist zwei Tage nach meiner Einlieferung zur Untersuchung ins Spital gekommen. Er ist gesund und hat sich die letzten zehn Tage nicht mehr gezeigt. Mein Anblick damals war sicher nicht sehr erfreulich, und sprechen konnten wir nicht miteinander. Er stand traurig vor dem Glasfenster und ging dann eine halbe Stunde später wieder. Ab und zu bekomme ich Grüße von ihm. Wir fehlen ihm sehr, und um die Zeit herumzukriegen, ist er dauernd mit unserer Herde unterwegs, wird mir mitgeteilt. Seit in Wamba bekannt ist, daß eine Mzungu im Spital liegt, stehen regelmäßig fremde Besucher vor der Scheibe und starren das Baby und mich an. Manchmal sind es bis zu zehn Personen. Mir ist es jedesmal peinlich, und ich ziehe das Bettlaken über den Kopf.
Die Tage schleppen sich dahin. Entweder spiele ich mit Napirai oder lese Zeitung. Nun bin ich schon zweieinhalb Wochen hier und habe während dieser Zeit weder einen Sonnenstrahl noch frische Luft gespürt. Auch das Gezirpe der Grillen und das Zwitschern der Vögel vermisse ich sehr. Langsam überkommt mich eine Depression. Ich denke viel über mein Leben nach und fühle deutlich, daß mein Heimweh Barsaloi und dessen Bewohnern gehört.
Wieder naht die Besuchszeit, und ich verkrieche mich unter die Decke, als eine Schwester mir mitteilt, Besuch sei für mich da. Ich luge hervor und sehe meinen Mann mit einem anderen Krieger an der Scheibe. Glücklich strahlt er Napirai und mich an. Sein fröhlicher, schöner Anblick versetzt mich augenblicklich in eine seit langem nicht mehr verspürte Hochstimmung. So gerne würde ich jetzt auf ihn zugehen, ihn berühren und sagen: »Darling, no problem, everything becomes okay.« Statt dessen halte ich Napirai so, daß er seine Tochter von vorne sieht und zeige auf ihren Papa. Sie strampelt und fuchtelt lustig mit ihren fetten Beinchen und Ärmchen. Als Fremde wieder versuchen, durch die Scheibe zu spähen, sehe ich, wie mein Mann die Leute einschüchtert, und sie schleichen davon. Ich muß lachen, und auch er unterhält sich lachend mit seinem Freund. Sein geschmücktes Gesicht glänzt im Sonnenschein. Ach, ich liebe ihn trotz allem noch immer! Die Besuchszeit ist zu Ende, und wir winken uns zu. Der Besuch meines Mannes gibt mir die nötige Kraft, mich psychisch zu fangen.
Nach der dritten Woche wird mir der Urinbeutel entfernt, da die Werte nun bedeutend besser sind. Endlich kann ich mich richtig waschen, sogar duschen. Bei der Visite staunt die Ärztin, wie hübsch ich mich gemacht habe. Meine Haare sind durch ein rotes Band zu einem Pferdeschwanz hochgebunden, und ich habe Lippenstift aufgetragen. Ich fühle mich wie ein neuer Mensch. Als sie mir eröffnet, daß ich in einer Woche für eine Viertelstunde nach draußen gehen darf, bin ich glücklich. Ich zähle die Tage, bis es soweit ist.
Die vierte Woche ist vorbei, und ich darf meinen Käfig mit meiner Tochter auf dem Rücken verlassen. Mir verschlägt es fast den Atem bei der tropischen Luft, die ich gierig einsauge. Wie wunderbar die Vögel singen und wie gut diese roten Büsche riechen, nehme ich jetzt überdeutlich wahr, nachdem mir dies alles für einen Monat verwehrt war. Am liebsten möchte ich jauchzen vor Freude.
Da ich mich nicht vom Trakt entfernen soll, laufe ich ein paar Meter an den anderen Scheiben entlang. Was sich hinter ihnen auftut, ist schrecklich. Fast alle Kinder haben Mißbildungen. Manchmal stehen bis zu vier Bettchen in einem Raum. Ich sehe deformierte Köpfe oder Körper, Kinder mit offenem Rücken, mit fehlenden Beinen oder Armen oder mit Klumpfüßchen. Am dritten Fenster verschlägt es mir fast den Atem. Ein kleiner Babykörper mit einem Riesenkopf, der zu platzen droht, liegt ganz still da. Nur die Lippen bewegen sich, wahrscheinlich weint es. Diesen Anblick kann ich nicht mehr ertragen und gehe in mein Zimmer zurück. Ich bin völlig verstört, denn solche Mißbildungen habe ich noch nie gesehen. Mir wird bewußt, wieviel Glück ich mit meinem Kind habe.
Als die Ärztin zu mir kommt, frage ich, warum diese Kinder überhaupt noch leben. Sie erklärt mir, daß dies ein Missionsspital sei und hier keine Sterbehilfe geleistet würde. Die Kinder sind meistens vor den Toren des Spitals ausgesetzt worden und warten hier auf ihren Tod. Mir ist noch ganz elend, und ich habe Bedenken, ob ich jemals wieder ruhig und traumlos schlafen kann. Die Ärztin schlägt mir
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