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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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sich selbst dadurch sichtbar wird. Auch diesem sogar ist etwas Entsprechendes in der Musik. Nämlich ein vollkommen reines harmonisches System der Töne ist nicht nur physisch, sondern sogar schon arithmetisch unmöglich. Die Zahlen selbst, durch welche die Töne sich ausdrücken lassen, haben unauflösbare Irrationalitäten: keine Skala läßt sich auch nur ausrechnen, innerhalb welcher jede Quinte sich zum Grundton verhielte wie 2 zu 3, jede große Terz wie 4 zu 5, jede kleine Terz wie 5 zu 6 u.s.w. Denn, sind die Töne zum Grundton richtig, so sind sie es nicht mehr zu einander; indem ja z.B. die Quinte die kleine Terz der Terz seyn müßte, u.s.w.: denn die Töne der Skala sind Schauspielern zu vergleichen, welche bald diese, bald jene Rolle zu spielen haben. Daher also läßt eine vollkommen richtige Musik sich nicht ein Mal denken, geschweige ausführen; und dieserhalb weicht jede mögliche Musik von der vollkommenen Reinheit ab: sie kann bloß die ihr wesentlichen Dissonanzen, durch Vertheilung derselben an alle Töne, d.i. durch Temperatur, verstecken. Man sehe hierüber Chladni's »Akustik«, § 30, und dessen »Kurze Uebersicht der Schall- und Klanglehre«, S. 12. 74
    Ich hätte noch manches hinzuzufügen über die Art, wie Musik percipirt wird, nämlich einzig und allein in und durch die Zeit, mit gänzlicher Ausschließung des Raumes, auch ohne Einfluß der Erkenntniß der Kausalität, also des Verstandes: denn die Töne machen schon als Wirkung und ohne daß wir auf ihre Ursache, wie bei der Anschauung, zurückgiengen, den ästhetischen Eindruck. – Ich will indessen diese Betrachtungen nicht noch mehr verlängern, da ich vielleicht schon so in diesem dritten Buche Manchem zu ausführlich gewesen bin, oder mich zu sehr auf das Einzelne eingelassen habe. Mein Zweck machte es jedoch nöthig, und man wird es um so weniger mißbilligen, wenn man die selten genugsam erkannte Wichtigkeit und den hohen Werth der Kunst sich vergegenwärtigt, erwägend, daß wenn, nach unserer Ansicht, die gesammte sichtbare Welt nur die Objektivation, der Spiegel des Willens ist, zu seiner Selbsterkenntniß, ja, wie wir bald sehn werden, zur Möglichkeit seiner Erlösung, ihn begleitend; und zugleich, daß die Welt als Vorstellung, wenn man sie abgesondert betrachtet, indem man vom Wollen losgerissen, nur sie allein das Bewußtseyn einnehmen läßt, die erfreulichste und die allein unschuldige Seite des Lebens ist; – wir die Kunst als die höhere Steigerung, die vollkommenere Entwickelung von allen Diesem anzusehn haben, da sie wesentlich eben das Selbe, nur koncentrirter, vollendeter, mit Absicht und Besonnenheit leistet, was die sichtbare Welt selbst, und sie daher, im vollen Sinne des Wortes, die Blüthe des Lebens genannt werden mag. Ist die ganze Welt als Vorstellung nur die Sichtbarkeit des Willens, so ist die Kunst die Verdeutlichung dieser Sichtbarkeit, die Camera obscura , welche die Gegenstände reiner zeigt und besser übersehn und zusammenfassen läßt, das Schauspiel im Schauspiel, die Bühne auf der Bühne im »Hamlet«.
    Der Genuß alles Schönen, der Trost, den die Kunst gewährt, der Enthusiasmus des Künstlers, welcher ihn die Mühen des Lebens vergessen läßt, dieser eine Vorzug des Genius vor den Ändern, der ihn für das mit der Klarheit des Bewußtseyns in gleichem Maaße gesteigerte Leiden und für die öde Einsamkeit unter einem heterogenen Geschlechte allein entschädigt, – dieses Alles beruht darauf, daß, wie sich uns weiterhin zeigen wird, das Ansich des Lebens, der Wille, das Daseyn selbst, ein stetes Leiden und theils jämmerlich, theils schrecklich ist; dasselbe hingegen als Vorstellung allein, rein angeschaut, oder durch die Kunst wiederholt, frei von Quaal, ein bedeutsames Schauspiel gewährt. Diese rein erkennbare Seite der Welt und die Wiederholung derselben in irgend einer Kunst ist das Element des Künstlers. Ihn fesselt die Betrachtung des Schauspiels der Objektivation des Willens: bei demselben bleibt er stehn, wird nicht müde es zu betrachten und darstellend zu wiederholen, und trägt derweilen selbst die Kosten der Aufführung jenes Schauspiels, d.h. ist ja selbst der Wille, der sich also objektivirt und in stetem Leiden bleibt. Jene reine, wahre und tiefe Erkenntniß des Wesens der Welt wird ihm nun Zweck an sich: er bleibt bei ihr stehn. Daher wird sie ihm nicht, wie wir es im folgenden Buche bei dem zur Resignation gelangten Heiligen sehn werden, Quietiv des Willens, erlöst ihn

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