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Todeszauber

Todeszauber

Titel: Todeszauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Würth
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    Wilsberg geht ins Varieté
    Lieber wäre ich ganz weit weg gewesen. Am Strand einer All-inclusive-Insel in der Südsee mit bunten Cocktails und lächelnden Einheimischen. Oder wenigstens unter den robusten Händen einer sächselnden Masseurin in der Wellnessabteilung eines Fünf-Sterne-Hotels irgendwo zwischen Kassel und Eisenach. Nur bloß nicht hier, in Münster. Wo alles nach Stillstand und Gewohnheit roch. Meine von langen Jahren des Alleinlebens vergilbte Wohnung ebenso wie die ausgetretenen Pfade, die ich jeden Tag im Kreuzviertel beschritt. Die telefonischen Glückwünsche, die mich erreichten, hatten den schalen Beigeschmack des Bedauerns. Fünfzig. Ich war heute fünfzig geworden. Was sollte da noch kommen? Vor meinem geistigen Auge sah ich mich schon in einer der schicken Seniorenresidenzen sitzen, die jetzt überall hochgezogen wurden. Noch einen Kamillentee, Herr Wilsberg? Kommen Sie heute zu unserem Derrick-Nostalgie-Abend? Vielleicht können Sie ja ein paar Geschichten aus Ihrem Privatdetektivleben erzählen?
    Grauenhaft. Ich nahm mir vor, etwas zu ändern. Mich, meine Wohnung, meine Gewohnheiten. So ging das nicht weiter. Aber das erzählte ich weder Franka noch Stürzenbecher, die mir gratulierten. Auch nicht meiner Exfrau, die ihren alten Groll hinunterschluckte und drei Minuten lang ohne jede Spitze auskam. Pia Petry hätte ich es vielleicht erzählt. Doch die rief nicht an. Konnte sie auch nicht, denn ich hatte ihr nie mein Geburtsdatum verraten. So brauchte ich wenigstens nicht auf ihren Anruf zu warten.
    Jetzt musste ich nur noch den Abend überstehen. Sarah, meine Tochter, hatte mir den gemeinsamen Besuch eines Varietés geschenkt. Keine Ahnung, wie sie darauf gekommen war, dass mir so etwas gefallen würde. Aus ihrer vierzehnjährigen Sicht war ein Varieté vermutlich die angemessene Unterhaltung für einen älteren Herrn. Jedenfalls lag ich punktgenau im Altersdurchschnitt der distinguierten grauhaarigen Herren und Damen in Abendgarderobe, die die Mehrheit des Publikums stellten.
    Sarah lächelte unsicher. »Wie findest du es?«
    »Toll«, sagte ich. »Es ist klasse.«
    Ich war fest entschlossen, mich zu amüsieren. Schon um Sarahs willen, die für die nicht gerade billigen Eintrittskarten ihr Taschengeld gespart hatte. Denn Sarah war definitiv das Beste, was mir in meinem bisherigen Leben passiert war.
    Wir standen im Foyer des erst vor einem halben Jahr eröffneten Theaters, das Münsters Hafenviertel um eine weitere Attraktion bereicherte. Durch die großen Glasfenster konnte man auf die andere Seite des Hafenbeckens, den sogenannten Kreativkai, schauen. Wegen der überraschend milden Herbsttemperaturen flanierten dort jede Menge Kneipengänger. Selbst einige rote Sonnenschirme trotzten dem kalendarischen Oktober. Nur im Beach-Club war der weiße Sand wieder dem grauen Beton gewichen.
    Sarah trank Cola, ich Bier. Bis zur Pause hatten wir ein ukrainisches Paar auf dem Einrad, einen spanischen Jongleur und eine sehr gelenkige Schwedin am Trapez gesehen. Außerdem einen Magier, der sich Stefano Monetti nannte, jedoch bis in die blonden Haarwurzeln und die akzentfreie Aussprache sehr deutsch wirkte. Monetti hatte ein paar Kartentricks vorgeführt und dann seine Assistentin Anna in eine Kiste gelegt, die er mit einer Säge fachgerecht in zwei Hälften teilte und auseinanderschob. Auf der einen Seite strampelten Annas braune Beine, auf der anderen ragte ihr schwarz gelockter Kopf aus dem Verschlag. Doch obwohl Monetti mit theatralischer Geste die blutverschmierte Säge präsentiert hatte, war das Publikum nur mäßig überrascht, als Annas wunderschöner Körper am Ende wieder zusammenfand und sie unverletzt auf die Bühne kletterte.
    »Wer gefiel dir am meisten?«, fragte Sarah.
    Sie selbst favorisierte den spanischen Jongleur. Wegen seiner Fingerfertigkeit, behauptete sie. Ich tippte darauf, dass die zum Zopf gebundenen, langen Haare und der glutäugige Blick den Ausschlag gegeben hatten, verkniff mir jedoch einen Kommentar.
    »Die Assistentin des Magiers«, sagte ich.
    »Wieso das?« Sarah zog ihre gezupften Augenbrauen in die Höhe. »Die hat doch gar nicht viel gemacht.«
    »Nein, aber sie sieht gut aus.«
    »Papa!« Die Augenbrauen sackten nach unten, dafür schielten die Augen zur Decke. »Du bist jetzt fünfzig. Hört das denn nie auf?«
    »Nein«, sagte ich. »Das hört nie auf. Außerdem ist man mit fünfzig noch nicht scheintot.«
    Der Gong ertönte. Wir gingen in den Saal zurück

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