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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Jugendträumen erwacht ist, eigene und fremde Erfahrung beachtet, sich im Leben, in der Geschichte der Vergangenheit und des eigenen Zeitalters, endlich in den Werken der großen Dichter umgesehn hat, wird, wenn nicht irgend ein unauslöschlich eingeprägtes Vorurtheil seine Urtheilskraft lahmt, wohl das Resultat erkennen, daß diese Menschenwelt das Reich des Zufalls und des Irrthums ist, die unbarmherzig darin schalten, im Großen, wie im Kleinen, neben welchen aber noch Thorheit und Bosheit die Geißel schwingen: daher es kommt, daß jedes Bessere nur mühsam sich durchdrängt, das Edle und Weise sehr selten zur Erscheinung gelangt und Wirksamkeit oder Gehör findet, aber das Absurde und Verkehrte im Reiche des Denkens, das Platte und Abgeschmackte im Reiche der Kunst, das Böse und Hinterlistige im Reiche der Thaten, nur durch kurze Unterbrechungen gestört, eigentlich die Herrschaft behaupten; hingegen das Treffliche jeder Art immer nur eine Ausnahme, ein Fall aus Millionen ist, daher auch, wenn es sich in einem dauernden Werke kund gegeben, dieses nachher, nachdem es den Groll seiner Zeitgenossen überlebt hat, isolirt dasteht, aufbewahrt wird, gleich einem Meteorstein, aus einer andern Ordnung der Dinge, als die hier herrschende ist, entsprungen. – Was aber das Leben des Einzelnen betrifft, so ist jede Lebensgeschichte eine Leidensgeschichte: denn jeder Lebenslauf ist, in der Regel, eine fortgesetzte Reihe großer und kleiner Unfälle, die zwar jeder möglichst verbirgt, weil er weiß, daß Andere selten Theilnahme oder Mitleid, fast immer aber Befriedigung durch die Vorstellung der Plagen, von denen sie gerade jetzt verschont sind, dabei empfinden müssen; – aber vielleicht wird nie ein Mensch, am Ende seines Lebens, wenn er besonnen und zugleich aufrichtig ist, wünschen, es nochmals durchzumachen, sondern, eher als das, viel lieber gänzliches Nichtsein erwählen. Der wesentliche Inhalt des weltberühmten Monologs im »Hamlet« ist, wenn zusammengefaßt, dieser: Unser Zustand ist ein so elender, daß gänzliches Nichtseyn ihm entschieden vorzuziehn wäre. Wenn nun der Selbstmord uns dieses wirklich darböte, so daß die Alternative »Seyn oder Nichtseyn« im vollen Sinn des Wortes vorläge; dann wäre er unbedingt zu erwählen, als eine höchst wünschenswerthe Vollendung (a consummation devoutly to be wish'd ). Allein in uns ist etwas, das uns sagt, dem sei nicht so; es sei damit nicht aus, der Tod sei keine absolute Vernichtung. – Imgleichen ist, was schon der Vater der Geschichte anführt 82 , auch wohl seitdem nicht widerlegt worden, daß nämlich kein Mensch existirt hat, der nicht mehr als ein Mal gewünscht hätte, den folgenden Tag nicht zu erleben. Danach möchte die so oft beklagte Kürze des Lebens vielleicht gerade das Beste daran seyn. – Wenn man nun endlich noch Jedem die entsetzlichen Schmerzen und Quaalen, denen sein Leben beständig offen steht, vor die Augen bringen wollte; so würde ihn Grausen ergreifen: und wenn man den verstocktesten Optimisten durch die Krankenhospitäler, Lazarethe und chirurgische Marterkammern, durch die Gefängnisse, Folterkammern und Sklavenställe, über Schlachtfelder und Gerichtsstätten führen, dann alle die finstern Behausungen des Elends, wo es sich vor den Blicken kalter Neugier verkriecht, ihm öffnen und zum Schluß ihn in den Hungerthurm des Ugolino blicken lassen wollte; so würde sicherlich auch er zuletzt einsehn, welcher Art dieser meilleur des mondes possibles ist. Woher denn anders hat Dante den Stoff zu seiner Hölle genommen, als aus dieser unserer wirklichen Welt? Und doch ist es eine recht ordentliche Hölle geworden. Hingegen als er an die Aufgabe kam, den Himmel und seine Freuden zu schildern, da hatte er eine unüberwindliche Schwierigkeit vor sich; weil eben unsere Welt gar keine Materialien zu so etwas darbietet. Daher blieb ihm nichts übrig, als, statt der Freuden des Paradieses, die Belehrung, die ihm dort von seinem Ahnherrn, seiner Beatrix und verschiedenen Heiligen ertheilt worden, uns wiederzugeben. Hieraus aber erhellt genugsam, welcher Art diese Welt ist. Freilich ist am Menschenleben, wie an jeder schlechten Waare, die Außenseite mit falschem Schimmer überzogen: immer verbirgt sich was leidet; hingegen was Jeder an Prunk und Glanz erschwingen kann, trägt er zur Schau, und je mehr ihm innere Zufriedenheit abgeht, desto mehr wünscht er, in der Meinung Anderer als ein Beglückter dazustehn: so weit geht die Thorheit,

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