Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Formeln nahm, die er zu seinen Zwecken mit einander verband, wie z.B. »transscendentale synthetische Einheit der Apperception«, und überhaupt »Einheit der Synthesis« allemal gesetzt, wo »Vereinigung« ganz allein ausreichte. Ein Solcher wird ferner nicht das schon ein Mal Erklärte immer wieder von Neuem erklären, wie Kant es z.B. macht mit dem Verstande, den Kategorien, der Erfahrung und andern Hauptbegriffen. Ein Solcher wird überhaupt nicht sich unablässig wiederholen und dabei doch, in jeder neuen Darstellung des hundert Mal dagewesenen Gedankens, ihm wieder gerade die selben dunklen Stellen lassen; sondern er wird ein Mal deutlich, gründlich, erschöpfend seine Meinung sagen, und dabei es bewenden lassen. Quo enim melius rem aliquam concipimus, eo magis determinati sumus ad eam unico modo exprimendam , sagt Cartesius in seinem fünften Briefe. Aber der größte Nachtheil, den Kants stellenweise dunkler Vortrag gehabt hat, ist, daß er als exemplar vitiis imitabile wirkte, ja, zu verderblicher Autorisation mißdeutet wurde. Das Publikum war genöthigt worden einzusehn, daß das Dunkle nicht immer sinnlos ist: sogleich flüchtete sich das Sinnlose hinter den dunkeln Vortrag. Fichte war der Erste, der dies neue Privilegium ergriff und stark benutzte; Schelling that es ihm darin wenigstens gleich, und ein Heer hungeriger Skribenten ohne Geist und ohne Redlichkeit überbot bald Beide. Jedoch die größte Frechheit im Auftischen haaren Unsinns, im Zusammenschmieren sinnleerer, rasender Wortgeflechte, wie man sie bis dahin nur in Tollhäusern vernommen hatte, trat endlich im Hegel auf und wurde das Werkzeug der plumpesten allgemeinen Mystifikation, die je gewesen, mit einem Erfolg, welcher der Nachwelt fabelhaft erscheinen und ein Denkmal Deutscher Niaiserie bleiben wird. Vergeblich schrieb unterdessen Jean Paul seinen schönen Paragraphen »Höhere Würdigung des philosophischen Tollseyns auf dem Katheder und des dichterischen auf dem Theater« (ästhetische Nachschule); denn vergeblich hatte schon Goethe gesagt:
»So schwätzt und lehrt man ungestört,
Wer mag sich mit den Narr'n befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.«
Doch kehren wir zu Kant zurück. Man kann nicht umhin einzugestehn, daß ihm die antike, grandiose Einfalt, daß ihm Naivetät, ingénuité , candeur , gänzlich abgeht. Seine Philosophie hat keine Analogie mit der Griechischen Baukunst, welche große, einfache, dem Blick sich auf ein Mal offenbarende Verhältnisse darbietet: vielmehr erinnert sie sehr stark an die Gothische Bauart. Denn eine ganz individuelle Eigenthümlichkeit des Geistes Kants ist ein sonderbares Wohlgefallen an der Symmetrie , welche die bunte Vielheit liebt, um sie zu ordnen und die Ordnung in Unterordnungen zu wiederholen, und so immerfort, gerade wie an den Gothischen Kirchen. Ja er treibt dies bisweilen bis zur Spielerei, wobei er, jener Neigung zu Liebe, so weit geht, der Wahrheit offenbare Gewalt anzuthun und mit ihr zu verfahren, wie mit der Natur die altfränkischen Gärtner, deren Werk symmetrische Alleen, Quadrate und Triangel, pyramidalische und kugelförmige Bäume und zu regelmäßigen Kurven gewundene Hecken sind. Ich will dies mit Thatsachen belegen.
Nachdem er Raum und Zeit isolirt abgehandelt, dann diese ganze, Raum und Zeit füllende Welt der Anschauung, in der wir leben und sind, abgefertigt hat mit den nichtssagenden Worten »der empirische Inhalt der Anschauung wird uns gegeben «, – gelangt er sofort, mit einem Sprunge, zur logischen Grundlage seiner ganzen Philosophie, zur Tafel der Urtheile. Aus dieser deducirt er ein richtiges Dutzend Kategorien, symmetrisch unter vier Titeln abgesteckt, welche späterhin das furchtbare Bett des Prokrustes werden, in welches er alle Dinge der Welt und Alles was im Menschen vorgeht gewaltsam hineinzwängt, keine Gewaltthätigkeit scheuend und kein Sophisma verschmähend, um nur die Symmetrie jener Tafel überall wiederholen zu können. Das Erste, was aus ihr symmetrisch abgeleitet wird, ist die reine physiologische Tafel allgemeiner Grundsätze der Naturwissenschaft: nämlich Axiome der Anschauung, Anticipationen der Wahrnehmung, Analogien der Erfahrung und Postulate des empirischen Denkens überhaupt. Von diesen Grundsätzen sind die beiden ersten einfach; die beiden letztem aber treiben symmetrisch jeder drei Sprößlinge. Die bloßen Kategorien waren was er Begriffe nennt;
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