Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
seyn, ihre Grundsätze und Grundbegriffe dürfen nie aus der Erfahrung, weder innerer noch äußerer, genommen seyn.« Zur Begründung dieser Kardinal-Behauptung wird jedoch gar nichts angeführt, als das etymologische Argument aus dem Worte Metaphysik. In Wahrheit aber verhält sich die Sache so: Die Welt und unser eigenes Daseyn stellt sich uns nothwendig als ein Räthsel dar. Nun wird ohne Weiteres angenommen, daß die Lösung dieses Räthsels nicht aus dem gründlichen Verständniß der Welt selbst hervorgehn könne, sondern gesucht werden müsse in etwas von der Welt gänzlich Verschiedenem (denn das heißt »über die Möglichkeit aller Erfahrung hinaus«); und daß von jener Lösung Alles ausgeschlossen werden müsse, wovon wir irgendwie unmittelbare Kenntniß (denn das heißt mögliche Erfahrung, sowohl innere, wie äußere) haben können; dieselbe vielmehr nur in Dem gesucht werden müsse, wozu wir bloß mittelbar, nämlich mittelst Schlüssen aus allgemeinen Sätzen a priori , gelangen können. Nachdem man auf diese Art die Hauptquelle aller Erkenntniß ausgeschlossen und den geraden Weg zur Wahrheit sich versperrt hatte, darf man sich nicht wundern, daß die dogmatischen Versuche mißglückten und Kant die Nothwendigkeit dieses Mißglückens darthun konnte: denn man hatte zum voraus Metaphysik und Erkenntniß a priori als identisch angenommen. Dazu hätte man aber vorher beweisen müssen, daß der Stoff zur Lösung des Räthsels der Welt schlechterdings nicht in ihr selbst enthalten seyn könne, sondern nur außerhalb der Welt zu suchen sei, in etwas, dahin man nur am Leitfaden jener uns a priori bewußten Formen gelangen könne. So lange aber Dies nicht bewiesen ist, haben wir keinen Grund, uns, bei der wichtigsten und schwierigsten aller Aufgaben, die inhaltsreichsten aller Erkenntnißquellen, innere und äußere Erfahrung, zu verstopfen, um allein mit inhaltsleeren Formen zu operiren. Ich sage daher, daß die Lösung des Räthsels der Welt aus dem Verständniß der Welt selbst hervorgehn muß; daß also die Aufgabe der Metaphysik nicht ist, die Erfahrung, in der die Welt dasteht, zu überfliegen, sondern sie von Grund aus zu verstehn, indem Erfahrung, äußere und innere, allerdings die Hauptquelle aller Erkenntniß ist; daß daher nur durch die gehörige und am rechten Punkt vollzogene Anknüpfung der äußern Erfahrung an die innere, und dadurch zu Stande gebrachte Verbindung dieser zwei so heterogenen Erkenntnißquellen, die Lösung des Räthsels der Welt möglich ist; wiewohl auch so nur innerhalb gewisser Schranken, die von unserer endlichen Natur unzertrennlich sind, mithin so, daß wir zum richtigen Verständniß der Welt selbst gelangen, ohne jedoch eine abgeschlossene und alle ferneren Probleme aufhebende Erklärung ihres Daseyns zu erreichen. Mithin est quadam prodire tenus , und mein Weg liegt in der Mitte zwischen der Allwissenheitslehre der frühem Dogmatik und der Verzweiflung der Kantischen Kritik. Die von Kant entdeckten, wichtigen Wahrheiten aber, durch welche die frühem metaphysischen Systeme umgestoßen wurden, haben dem meinigen Data und Material geliefert. Man vergleiche was ich Kap. 17 des zweiten Bandes über meine Methode gesagt habe. – Soviel über den Kantischen Grundgedanken: jetzt wollen wir die Ausführung und das Einzelne betrachten.
Kants Stil trägt durchweg das Gepräge eines überlegenen Geistes, ächter, fester Eigenthümlichkeit und ganz ungewöhnlicher Denkkraft; der Charakter desselben läßt sich vielleicht treffend bezeichnen als eine glänzende Trockenheit , vermöge welcher er die Begriffe mit großer Sicherheit fest zu fassen und herauszugreifen, dann sie mit größter Freiheit hin- und herzuwerfen vermag, zum Erstaunen des Lesers. Die selbe glänzende Trockenheit finde ich im Stil des Aristoteles wieder, obwohl dieser viel einfacher ist. – Dennoch ist Kants Vortrag oft undeutlich, unbestimmt, ungenügend und bisweilen dunkel. Allerdings ist dieses Letztere zum Theil durch die Schwierigkeit des Gegenstandes und die Tiefe der Gedanken zu entschuldigen; aber wer sich selber bis auf den Grund klar ist und ganz deutlich weiß, was er denkt und will, der wird nie undeutlich schreiben, wird nie schwankende, unbestimmte Begriffe aufstellen und zur Bezeichnung derselben aus fremden Sprachen höchst schwierige komplicirte Ausdrücke zusammensuchen, um solche nachher fortwährend zu gebrauchen, wie Kant aus der altern, sogar scholastischen Philosophie Worte und
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