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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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eine bloße Empfindung im Sinnesorgan, und erst durch Anwendung des Verstandes (d. i. des Gesetzes der Kausalität) und der Anschauungsformen des Raumes und der Zeit wandelt unser Intellekt diese bloße Empfindung in eine Vorstellung um, welche nunmehr als Gegenstand in Raum und Zeit dasteht und von letzterem (dem Gegenstand) nicht anders unterschieden werden kann, als sofern man nach dem Dinge an sich fragt, außerdem aber mit ihm identisch ist. Diesen Hergang habe ich ausführlich dargelegt in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, § 21. Damit ist aber das Geschäft des Verstandes und der anschauenden Erkenntniß vollbracht, und es bedarf dazu keiner Begriffe und keines Denkens; daher diese Vorstellungen auch das Thier hat. Kommen Begriffe, kommt Denken hinzu, welchem allerdings Spontaneität beigelegt werden kann; so wird die anschauende Erkenntniß gänzlich verlassen, und eine völlig andere Klasse von Vorstellungen, nämlich nichtanschauliche, abstrakte Begriffe, tritt ins Bewußtsein: dies ist die Thätigkeit der Vernunft , welche Jedoch den ganzen Inhalt ihres Denkens allein aus der diesem vorhergegangenen Anschauung und Vergleichung desselben mit andern Anschauungen und Begriffen hat. So aber bringt Kant das Denken schon in die Anschauung und legt den Grund zu der heillosen Vermischung der intuitiven und abstrakten Erkenntniß, welche zu rügen ich hier beschäftigt bin. Er läßt die Anschauung, für sich genommen, verstandlos, rein sinnlich, also ganz passiv seyn, und erst durch das Denken (Verstandeskategorie) einen Gegenstand aufgefaßt werden: so bringt er das Denken in die Anschauung. Dann ist aber wiederum der Gegenstand des Denkens ein einzelnes, reales Objekt; wodurch das Denken seinen wesentlichen Charakter der Allgemeinheit und Abstraktion einbüßt und statt allgemeiner Begriffe einzelne Dinge zum Objekt erhält, wodurch er wieder das Anschauen in das Denken bringt. Daraus entspringt die besagte heillose Vermischung, und die Folgen dieses ersten falschen Schrittes erstrecken sich über seine ganze Theorie des Erkennens. Durch das Ganze derselben zieht sich die gänzliche Vermischung der anschaulichen Vorstellung mit der abstrakten zu einem Mittelding von beiden, welches er als den Gegenstand der Erkenntniß durch den Verstand und dessen Kategorien darstellt und diese Erkenntniß Erfahrung nennt. Es ist schwer zu glauben, daß Kant selbst sich etwas völlig Bestimmtes und eigentlich Deutliches bei diesem Gegenstand des Verstandes gedacht habe: dieses werde ich jetzt beweisen, durch den Ungeheuern Widerspruch, der durch die ganze transscendentale Logik geht und die eigentliche Quelle der Dunkelheit ist, die sie umhüllt.
    Nämlich in der »Kritik der reinen Vernunft«, S. 67-69; v, 92-94; S. 89, 90; v, 122, 123; ferner v, 135, 139, 153, wiederholt er und schärft ein: der Verstand sei kein Vermögen der Anschauung, seine Erkenntniß sei nicht intuitiv, sondern diskursiv; der Verstand sei das Vermögen zu urtheilen (S. 69, v, 94), und ein Unheil sei mittelbare Erkenntniß, Vorstellung einer Vorstellung (S. 68; v, 93); der Verstand sei das Vermögen zu denken, und denken sei die Erkenntniß durch Begriffe (S. 69; v, 94); die Kategorien des Verstandes seien keineswegs die Bedingungen, unter denen Gegenstände in der Anschauung gegeben werden (S. 89; v, 122), und die Anschauung bedürfe der Funktionen des Denkens auf keine Weise (S. 91; v, 123); unser Verstand könne nur denken, nicht anschauen (v, S. 135, 139) – Ferner in den Prolegomenen, § 20: Anschauung, Wahrnehmung, perceptio , gehöre bloß den Sinnen an; das Urtheilen komme allein dem Verstande zu; und § 22: die Sache der Sinne sei anzuschauen, die des Verstandes zu denken, d. i. zu urtheilen. – Endlich noch in der »Kritik der praktischen Vernunft«, vierte Auflage, S. 247; Rosenkranzische Ausgabe S. 281: der Verstand ist diskursiv, seine Vorstellungen sind Gedanken, nicht Anschauungen. – Alles dieses sind Kants eigene Worte.
    Hieraus folgt, daß diese anschauliche Welt für uns dawäre, auch wenn wir gar keinen Verstand hätten, daß sie auf eine ganz unerklärliche Weise in unsern Kopf kommt, welches er eben durch seinen wunderlichen Ausdruck, die Anschauung wäre gegeben , häufig bezeichnet, ohne diesen unbestimmten und bildlichen Ausdruck je weiter zu erklären.
    Aber nun widerspricht allem Angeführten auf das schreiendeste seine ganze übrige Lehre vom Verstande, von dessen Kategorien und von der Möglichkeit der Erfahrung,

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