Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
haben, in die er jetzt geräth, indem er jene drei Begriffe aus der Natur der Vernunft nothwendig entspringen läßt, und doch darthut, daß sie unhaltbar und von der Vernunft nicht zu begründen sind, und deshalb die Vernunft selbst zum Sophisten macht, indem er S. 339; v, 397, sagt: »Es sind Sophistikationen, nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst, von denen selbst der Weiseste sich nicht losmachen und vielleicht zwar nach vieler Bemühung den Irrthum verhüten, den Schein aber, der ihn unaufhörlich zwackt und äfft, niemals loswerden kann.« Danach wären diese Kantischen »Ideen der Vernunft« dem Fokus zu vergleichen, in welchen die von einem Hohlspiegel konvergirend zurückgeworfenen Strahlen, einige Zolle vor seiner Oberfläche, zusammenlaufen, in Folge wovon, durch einen unvermeidlichen Verstandesproceß, sich uns daselbst ein Gegenstand darstellt, welcher ein Ding ohne Realität ist.
Sehr unglücklich ist aber für Jene drei angeblich nothwendigen Produktionen der reinen theoretischen Vernunft der Name Ideen gewählt und dem Plato entrissen, der damit die unvergänglichen Gestalten bezeichnete, welche, durch Zeit und Raum vervielfältigt, in den unzähligen, individuellen, vergänglichen Dingen unvollkommen sichtbar werden. Plato's Ideen sind diesem zufolge durchaus anschaulich, wie auch das Wort, das er wählte, so bestimmt bezeichnet, welches man nur durch Anschaulichkeiten oder Sichtbarkeiten, entsprechend übersetzen könnte. Und Kant hat es sich zugeeignet, um Das zu bezeichnen, was von aller Möglichkeit der Anschauung so ferne liegt, daß sogar das abstrakte Denken nur halb dazu gelangen kann. Das Wort Idee, welches Plato zuerst einführte, hat auch seitdem, zweiundzwanzig Jahrhunderte hindurch, immer die Bedeutung behalten, in der Plato es gebrauchte: denn nicht nur alle Philosophen des Alterthums, sondern auch alle Scholastiker und sogar die Kirchenväter und die Theologen des Mittelalters brauchten es allein in jener Platonischen Bedeutung, nämlich im Sinn des lateinischen Wortes exemplar , wie Suarez ausdrücklich anführt in seiner fünfundzwanzigsten Disputation, Sect. 1. – Daß später Engländer und Franzosen die Armuth ihrer Sprache zum Mißbrauch jenes Wortes verleitet hat, ist schlimm genug, aber nicht von Gewicht. Kants Mißbrauch des Wortes Idee , durch Unterschiebung einer neuen Bedeutung, welche am dünnen Faden des Nicht Objekt der Erfahrungseyns, die es mit Plato's Ideen, aber auch mit allen möglichen Chimären gemein hat, herbeigezogen wird, ist also durchaus nicht zu rechtfertigen. Da nun der Mißbrauch weniger Jahre nicht in Betracht kommt gegen die Auktorität vieler Jahrhunderte, so habe ich das Wort immer in seiner alten, ursprünglichen, Platonischen Bedeutung gebraucht.
Die Widerlegung der rationalen Psychologie ist in der ersten Auflage der »Kritik der reinen Vernunft« sehr viel ausführlicher und gründlicher, als in der zweiten und folgenden; daher man hier schlechterdings sich jener bedienen muß. Diese Widerlegung hat im Ganzen sehr großes Verdienst und viel Wahres. Jedoch bin ich durchaus der Meinung, daß Kant bloß seiner Symmetrie zu Liebe den Begriff der Seele aus jenem Paralogismus mittelst Anwendung der Forderung des Unbedingten auf den Begriff Substanz , der die erste Kategorie der Relation ist, als nothwendig herleitet und demnach behauptet, daß auf diese Weise in jeder spekulirenden Vernunft der Begriff von einer Seele entstände. Hätte derselbe wirklich seinen Ursprung in der Voraussetzung eines letzten Subjekts aller Prädikate eines Dinges, so würde man ja nicht allein im Menschen, sondern auch in jedem leblosen Dinge eben so nothwendig eine Seele angenommen haben, da auch ein solches ein letztes Subjekt aller seiner Prädikate verlangt. Ueberhaupt aber bedient Kant sich eines ganz unstatthaften Ausdrucks, wenn er von einem Etwas redet, das nur als Subjekt und nicht als Prädikat existiren könne (z.B. »Kritik der reinen Vernunft«, S. 323; v, 412; »Prolegomena«, § 4 und 47); obgleich schon in des Aristoteles »Metaphysik«, IV, Kap. 8, ein Vorgang dazu zu finden ist. Als Subjekt und Prädikat existirt gar nichts: denn diese Ausdrücke gehören ausschließlich der Logik an und bezeichnen das Verhältniß abstrakter Begriffe zueinander. In der anschaulichen Welt soll nun ihr Korrelat oder Stellvertreter Substanz und Accidenz seyn. Dann aber brauchen wir Das, was stets nur als Substanz und nie als Accidenz existirt, nicht
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