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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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von der Thesis gemacht; hingegen liegt sie den Behauptungen der Antithesis so wenig zum Grunde, daß sie sogar mit ihnen durchaus unvereinbar ist. Denn dem Begriff einer unendlichen Reihe widerspricht es geradezu, daß sie ganz gegeben sei: es ist ihr daher wesentlich, daß sie immer nur in Beziehung auf das Durchgehn derselben, nicht aber unabhängig von ihm, dasei. Hingegen liegt in der Voraussetzung bestimmter Gränzen auch die eines Ganzen, welches für sich bestehend und unabhängig von dem Vollziehn seiner Ausmessung daist. Also nur die Thesis macht die falsche Voraussetzung von einem an sich bestehenden, d.h. vor aller Erkenntniß gegebenen Weltganzen, zu welchem die Erkenntniß bloß hinzukäme. Die Antithese streitet durchaus schon ursprünglich mit dieser Voraussetzung: denn die Unendlichkeit der Reihen, welche sie bloß nach Anleitung des Satzes vom Grund behauptete, kann nur daseyn, sofern der Regressus vollzogen wird, nicht unabhängig von diesem. Wie nämlich das Objekt überhaupt das Subjekt voraussetzt, so setzt auch das als eine endlose Kette von Bedingungen bestimmte Objekt nothwendig die diesem entsprechende Erkenntnißart, nämlich das beständige Verfolgen der Glieder jener Kette, im Subjekt voraus. Dies ist aber eben was Kant als Auflösung des Streites giebt und so oft wiederholt: »Die Unendlichkeit der Weltgröße ist nur durch den Regressus, nicht vor demselben.« Diese seine Auflösung des Widerstreits ist also eigentlich nur die Entscheidung zu Gunsten der Antithese, in deren Behauptung jene Wahrheit schon liegt, so wie dieselbe mit den Behauptungen der These ganz unvereinbar ist. Hätte die Antithese behauptet, daß die Welt aus unendlichen Reihen von Gründen und Folgen bestehe und dabei doch unabhängig von der Vorstellung und deren regressiver Reihe, also an sich existire und daher ein gegebenes Ganzes ausmache; so hätte sie nicht nur der These, sondern auch sich selber widersprochen: denn ein Unendliches kann nie ganz gegeben seyn, noch eine endlose Reihe daseyn, als sofern sie endlos durchlaufen wird, noch ein Gränzenloses ein Ganzes ausmachen. Nur der Thesis also kommt jene Voraussetzung zu, von der Kant behauptet, daß sie beide Theile irre geführt hätte.
    Es ist schon Lehre des Aristoteles, daß ein Unendliches nie actu , d.h. wirklich und gegeben seyn könne, sondern bloß potentiâ , Ouk estin energeia einai to apeiron; – – – – – all' adynaton to entelecheia on apeiron (infinitum non potest esse actu: – – – – – sed impossibile, actu esse infinitum). Metaph. K, 10. – Ferner: kat' energeian men gar ouden estin apeiron, dynamei de epi tên diairesin (nihil enim actu infinitum est, sed potentia tantum, nempe divisione ipsa). De generat. et corrupt., 1, 3. – Dies führt er weitläufig aus, Phys. III, 5 u. 6 , woselbst er gewissermaaßen die ganz richtige Auflösung sämmtlicher antinomischer Gegensätze giebt. Er stellt, in seiner kurzen Art, die Antinomien dar und sagt dann: »Eines Vermittlers ( diaitêtou ) bedarf es«: wonach er die Auflösung giebt, daß das Unendliche, sowohl der Welt Im Raum, als in der Zeit und in der Theilung, nie vor dem Regressus, oder Progressus, sondern in demselben ist. – Also liegt diese Wahrheit schon im richtig gefaßten Begriff des Unendlichen. Man mißversteht sich also selbst, wenn man das Unendliche, welcher Art es auch sei, als ein objektiv Vorhandenes und Fertiges, und unabhängig vom Regressus zu denken vermeint.
    Ja, wenn man, umgekehrt verfahrend, zum Ausgangspunkt Dasjenige nimmt, was Kant als die Auflösung des Widerstreits giebt; so folgt eben schon aus demselben geradezu die Behauptung der Antithese. Nämlich: ist die Welt kein unbedingtes Ganzes und existirt nicht an sich, sondern nur in der Vorstellung, und sind ihre Reihen von Gründen und Folgen nicht vor dem Regressus der Vorstellungen davon da, sondern erst durch diesen Regressus; so kann die Welt nicht bestimmte und endliche Reihen enthalten, weil deren Bestimmung und Begränzung unabhängig von der dann nur hinzukommenden Vorstellung seyn müßte: sondern alle ihre Reihen müssen endlos, d.h. durch keine Vorstellung zu erschöpfen seyn.
    S. 506; v, 534, will Kant aus dem Unrechthaben beider Theile die transscendentale Idealität der Erscheinung beweisen und hebt an: »Ist die Welt ein an sich existirendes Ganzes, so ist sie entweder endlich oder unendlich.« – Dies ist aber falsch: ein an sich existirendes Ganzes kann durchaus nicht unendlich seyn.

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