Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
beiden Seiten denselben, unter einem Schwall überflüssiger und weitläuftiger Sätze verdeckt und eingemengt ein.
Die hier nun so im Widerstreit auftretenden Thesen und Antithesen erinnern an den dikaios und adikos logos , welche Sokrates in den Wolken des Aristophanes streitend auftreten läßt. Jedoch erstreckt sich diese Aehnlichkeit nur auf die Form, nicht aber auf den Inhalt, wie wohl Diejenigen gern behaupten möchten, welche diesen spekulativesten aller Fragen der theoretischen Philosophie einen Einfluß auf die Moralität zuschreiben und daher im Ernst die These für den dikaios die Antithese aber für den adikos logos halten. Auf solche beschränkte und verkehrte kleine Geister Rücksicht zu nehmen, werde ich mich hier jedoch nicht bequemen und nicht ihnen, sondern der Wahrheit die Ehre gebend, die von Kant geführten Beweise der einzelnen Thesen als Sophismen aufdecken, während die der Antithesen ganz ehrlich, richtig und aus objektiven Gründen geführt sind. – Ich setze voraus, daß man bei dieser Prüfung die Kantische Antinomie selbst immer vor sich habe.
Wollte man den Beweis der Thesis im ersten Widerstreit gelten lassen; so bewiese er zu viel, indem er eben so gut auf die Zeit selbst, als auf den Wechsel in ihr anwendbar wäre und daher beweisen würde, daß die Zeit selbst: angefangen haben muß, was widersinnig ist. Uebrigens besteht das Sophisma darin, daß statt der Anfangslosigkeit der Reihe der Zustände, wovon zuerst die Rede, plötzlich die Endlosigkeit (Unendlichkeit) derselben untergeschoben und nun bewiesen wird, was Niemand bezweifelt, daß dieser das Vollendetseyn logisch widerspreche und dennoch jede Gegenwart das Ende der Vergangenheit sei. Das Ende einer anfangslosen Reihe läßt sich aber immer denken, ohne ihrer Anfangslosigkeit Abbruch zu thun: wie sich auch umgekehrt der Anfang einer endlosen Reihe denken läßt. Gegen das wirklich richtige Argument der Antithesis aber, daß die Veränderungen der Welt rückwärts eine unendliche Reihe von Veränderungen schlechthin nothwendig voraussetzen, wird gar nichts vorgebracht. Die Möglichkeit, daß die Kausalreihe dereinst in einen absoluten Stillstand endige, können wir denken; keineswegs aber die Möglichkeit eines absoluten Anfangs 108 .
In Hinsicht auf die räumlichen Gränzen der Welt wird bewiesen, daß wenn sie ein gegebenes Ganzes heißen soll, sie nothwendig Gränzen haben muß: die Konsequenz ist richtig, nur war eben ihr vorderes Glied das, was zu beweisen war, aber unbewiesen bleibt. Totalität setzt Gränzen, und Gränzen setzen Totalität voraus: Beide zusammen werden hier aber willkürlich vorausgesetzt. – Die Antithesis liefert für diesen zweiten Punkt jedoch keinen so befriedigenden Beweis, als für den ersten, weil das Gesetz der Kausalität bloß in Hinsicht auf die Zeit, nicht auf den Raum, nothwendige Bestimmungen an die Hand giebt und uns zwar a priori die Gewißheit ertheilt, daß keine erfüllte Zeit je an eine ihr vorhergegangene leere gränzen und keine Veränderung die erste seyn konnte, nicht aber darüber, daß ein erfüllter Raum keinen leeren neben sich haben kann. Insofern wäre über Letzteres keine Entscheidung a priori möglich. Jedoch liegt die Schwierigkeit, die Welt im Räume als begränzt zu denken, darin, daß der Raum selbst nothwendig unendlich ist, und daher eine begränzte endliche Welt in ihm, so groß sie auch sei, zu einer unendlich kleinen Größe wird; an welchem Mißverhältniß die Einbildungskraft einen unüberwindlichen Anstoß findet; indem ihr danach nur die Wahl bleibt, die Welt entweder unendlich groß, oder unendlich klein zu denken. Dies haben schon die alten Philosophen eingesehn: Mêtrodôros, ho kathêgêtês Epikourou, phêsin atopon einai en megalô pediô hena stachyn gennêthênai, kai hena kosmon en tô apeirô (Metrodorus, caput scholae Epicuri, absurdum ait, in magno campo spicam unam produci, et unum in infinito mundum). Stob. Ecl., I, c. 23. – Daher lehrten Viele von ihnen (wie gleich darauf folgt), apeirous kosmous en tô apeirô (infinitos mundos in infinito) . Dieses ist auch der Sinn des Kantischen Arguments für die Antithese; nur hat er es durch einen scholastischen, geschrobenen Vertrag verunstaltet. Das selbe Argument könnte man auch gegen die Gränzen der Welt in der Zeit gebrauchen, wenn man nicht schon ein viel besseres am Leitfaden der Kausalität hätte. Ferner entsteht, bei der Annahme einer im Räume begränzten Welt, die unbeantwortbare
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