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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Tage. Um den Zustand A als zureichende Ursache des Zustandes B zu begreifen, setze ich voraus, er enthalte die Vollständigkeit der hiezu erforderlichen Bestimmungen, durch deren Beisammenseyn der Zustand B unausbleiblich erfolgt. Hiedurch ist nun meine Anforderung an ihn als zureichende Ursache gänzlich befriedigt und sie hat keine unmittelbare Verbindung mit der Frage, wie der Zustand A selbst zur Wirklichkeit gekommen sei: vielmehr gehört diese einer ganz andern Betrachtung an, in der ich den nämlichen Zustand A nicht mehr als Ursache, sondern selbst wieder als Wirkung ansehe, wobei ein anderer Zustand sich zu ihm wieder eben so verhalten muß, wie er selbst sich zu B verhielt. Die Voraussetzung der Endlichkeit der Reihe von Ursachen und Wirkungen, und demnach eines ersten Anfanges, erscheint dabei aber nirgends als nothwendig, so wenig wie die Gegenwart des gegenwärtigen Augenblicks einen Anfang der Zeit selbst zur Voraussetzung hat; sondern jene wird erst hinzugethan von der Trägheit des spekulirenden Individuums. Daß jene Voraussetzung in der Annahme einer Ursache als zureichenden Grundes liege, ist also erschlichen und falsch; wie ich dieses oben, bei Betrachtung des Kantischen, mit dieser Thesis zusammenfallenden Princips der Vernunft ausführlich gezeigt habe. Zur Erläuterung der Behauptung dieser falschen Thesis entblödet sich Kant nicht, in der Anmerkung zu derselben, sein Aufstehn vom Stuhl als Beispiel eines unbedingten Anfangs zu geben: als ob es ihm nicht so unmöglich wäre, ohne Motiv aufzustehn, wie der Kugel ohne Ursache zu rollen. Die Grundlosigkeit seiner vom Gefühl der Schwäche eingegebenen Berufung auf die Philosophen des Alterthums brauche ich wohl nicht erst aus dem Okellos Lukanos, den Eleaten u.s.w. nachzuweisen; der Hindu ganz zu geschweigen. Gegen die Beweisführung der Antithese ist, wie bei den vorhergehenden, nichts einzuwenden.
    Der vierte Widerstreit ist, wie ich schon bemerkt habe, mit dem dritten eigentlich tautologisch. Auch ist der Beweis der These im Wesentlichen wieder der selbe, wie der der vorhergehenden. Seine Behauptung, daß jedes Bedingte eine vollständige und daher mit dem Unbedingten sich endende Reihe von Bedingungen voraussetze, ist eine petitio principii , die man geradezu ableugnen muß. Jedes Bedingte setzt nichts voraus, als seine Bedingung: daß diese wieder bedingt sei, hebt eine neue Betrachtung an, welche in der ersten nicht unmittelbar enthalten ist.
    Eine gewisse Scheinbarkeit ist der Antinomie nicht abzusprechen: dennoch ist es merkwürdig, daß kein Theil der Kantischen Philosophie so wenig Widerspruch erfahren, ja, so viel Anerkennung gefunden hat, wie diese so höchst paradoxe Lehre. Fast alle philosophische Parteien und Lehrbücher haben sie gelten gelassen und wiederholt, auch wohl bearbeitet; während beinahe alle andern Lehren Kants angefochten worden sind, ja, es nie an einzelnen schiefen Köpfen gefehlt hat, welche sogar die transscendentale Aesthetik verwarfen. Der ungetheilte Beifall, den hingegen die Antinomie gefunden, mag am Ende daher kommen, daß gewisse Leute mit innerlichem Behagen den Punkt betrachten, wo so recht eigentlich der Verstand stille stehn soll, indem er auf etwas gestoßen wäre, was zugleich ist und nicht ist, und sie demnach das sechste Kunststück des Philadelphia, in Lichtenbergs Anschlagszettel, hier wirklich vor sich hätten.
    Kants nun folgende Kritische Entscheidung des kosmologischen Streites ist, wenn man ihren eigentlichen Sinn erforscht, nicht Das, wofür er sie giebt, nämlich die Auflösung des Streites durch die Eröffnung, daß beide Theile, von falschen Voraussetzungen ausgehend, im ersten und zweiten Widerstreit beide Unrecht, aber im dritten und vierten beide Recht haben; sondern sie ist in der That die Bestätigung der Antithesen durch die Erläuterung ihrer Aussage.
    Zuerst behauptet Kant in dieser Auflösung, mit offenbarem Unrecht, beide Theile giengen von der Voraussetzung, als Obersatz, aus, daß mit dem Bedingten auch die vollendete (also geschlossene) Reihe seiner Bedingungen gegeben sei. Bloß die Thesis legte diesen Satz, Kants reines Vernunftprincip, ihren Behauptungen zum Grunde: die Antithesis hingegen leugnete ihn ja überall ausdrücklich, und behauptete das Gegentheil. Ferner legt Kant beiden Theilen noch diese Voraussetzung zur Last, daß die Welt an sich selbst, d.h. unabhängig von ihrem Erkanntwerden und den Formen dieses, dasei; aber auch diese Voraussetzung ist abermals bloß

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