Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
daß sie aus dem Einfall entsprungen ist, im Begriff der Zweckmäßigkeit den Schlüssel zum Problem des Schönen zu finden. Der Einfall wird deducirt, was überall nicht schwer ist, wie wir aus den Nachfolgern Kants gelernt haben. So entsteht nun die barocke Vereinigung der Erkenntniß des Schönen mit der des Zweckmäßigen der natürlichen Körper, in ein Erkenntnißvermögen, Urtheilskraft genannt, und die Abhandlung beider heterogenen Gegenstände in einem Buch. Mit diesen drei Erkenntnißkräften, Vernunft, Urtheilskraft und Verstand, werden nachher mancherlei symmetrisch-architektonische Belustigungen vorgenommen, die Liebhaberei zu welchen überhaupt in diesem Buch sich vielfältig zeigt, schon in dem, dem Ganzen gewaltsam angepaßten Zuschnitt der Kritik der reinen Vernunft, ganz besonders aber in der bei den Haaren herbeigezogenen Antinomie der ästhetischen Urtheilskraft. Man könnte auch einen Vorwurf großer Inkonsequenz daraus nehmen, daß, nachdem in der Kritik der reinen Vernunft unablässig wiederholt ist, der Verstand sei das Vermögen zu urtheilen, und nachdem die Formen seiner Urtheile zum Grundstein aller Philosophie gemacht sind, nun noch eine ganz eigenthümliche Urtheilskraft auftritt, die von jenem völlig verschieden ist. Was übrigens ich Urtheilskraft nenne, nämlich die Fähigkeit, die anschauliche Erkenntniß in die abstrakte zu übertragen und diese wieder richtig auf jene anzuwenden, ist im positiven Theil meiner Schrift ausgeführt.
Bei weitem das Vorzüglichste in der Kritik der ästhetischen Urtheilskraft ist die Theorie des Erhabenen: sie ist ungleich besser gelungen, als die des Schönen, und giebt nicht nur, wie jene, die allgemeine Methode der Untersuchung an, sondern auch noch ein Stück des rechten Weges dazu, so sehr, daß wenn sie gleich nicht die eigentliche Auflösung des Problems giebt, sie doch sehr nahe daran streift.
In der Kritik der teleologischen Urtheilskraft kann man, wegen der Einfachheit des Stoffs, vielleicht mehr als irgendwo Kants seltsames Talent erkennen, einen Gedanken hin und her zu wenden und auf mannigfaltige Weise auszusprechen, bis daraus ein Buch geworden. Das ganze Buch will allein dieses: obgleich die organisirten Körper uns nothwendig so erscheinen, als wären sie einem ihnen vorhergegangenen Zweckbegriff gemäß zusammengesetzt; so berechtigt uns dies doch nicht, es objektiv so anzunehmen. Denn unser Intellekt, dem die Dinge von außen und mittelbar gegeben werden, der also nie das Innere derselben, wodurch sie entstehn und bestehn, sondern bloß ihre Außenseite erkennt, kann sich eine gewisse, den organischen Naturprodukten eigenthümliche Beschaffenheit nicht anders faßlich machen, als durch Analogie, indem er sie vergleicht mit den von Menschen absichtlich verfertigten Werken, deren Beschaffenheit durch einen Zweck und den Begriff von diesem bestimmt wird. Diese Analogie ist hinreichend, die Uebereinstimmung aller ihrer Theile zum Ganzen uns faßlich zu machen und dadurch sogar den Leitfaden zu ihrer Untersuchung abzugeben; aber keineswegs darf sie deshalb zum wirklichen Erklärungsgrunde des Ursprungs und Daseyns solcher Körper gemacht werden. Denn die Nothwendigkeit sie so zu begreifen ist subjektiven Ursprungs. – So etwan würde ich Kants Lehre hierüber resumiren. Der Hauptsache nach hatte er sie bereits in der Kritik der reinen Vernunft, S. 692-702; v, 720-730, dargelegt. Aber auch in der Erkenntniß dieser Wahrheit finden wir den David Hume als Kants ruhmwürdigen Vorläufer: auch er hatte jene Annahme scharf bestritten, in der zweiten Abtheilung seiner Dialogues concerning natural religion. Der Unterschied der Hume'schen Kritik jener Annahme von der Kantischen ist hauptsächlich dieser, daß Hume dieselbe als eine auf Erfahrung gestützte, Kant hingegen sie als eine apriorische kritisirt. Beide haben Recht und ihre Darstellungen ergänzen einander. Ja, das Wesentliche der Kantischen Lehre hierüber finden wir schon ausgesprochen im Kommentar des Simplicius zur Physik des Aristoteles:
hê de planê gegonen autois apo tou hêgeisthai, panta ta heneka ton ginomena kata proairesin genesthai kai logismon, ta de physei mê houtôs horan ginomena . (Error iis ortus est ex eo, quod credebant, omnia, quae propter finem aliquem fierent, ex proposito et ratiocinio fieri, dum videbant, naturae opera non ita fieri.) Schol. in Arist, ex. edit. Berol. p. 354. Kant hat in der Sache vollkommen Recht: auch war es nöthig, daß, nachdem gezeigt
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