Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Mitleid oder Herzensaufwallung, welche (laut »Kritik der praktischen Vernunft«, S. 213; Rosenkranzische Ausgabe, S. 257) wohldenkenden Personen, als ihre überlegten Maximen verwirrend, sogar sehr lästig sind; sondern die That muß ungern und mit Selbstzwang geschehn. Man erinnere sich, daß dabei dennoch Hoffnung des Lohnes nicht einfließen soll, und ermesse die große Ungereimtheit der Forderung. Aber, was mehr sagen will, dieselbe ist dem ächten Geiste der Tugend gerade entgegen: nicht die That, sondern das Gernthun derselben, die Liebe, aus der sie hervorgeht und ohne welche sie ein todtes Werk ist, macht das Verdienstliche derselben aus. Daher lehrt auch das Christenthum mit Recht, daß alle äußern Werke werthlos sind, wenn sie nicht aus jener ächten Gesinnung, welche in der wahren Gernwilligkeit und reinen Liebe besteht, hervorgehn, und daß nicht die verrichteten Werke (opera operata) , sondern der Glaube, die ächte Gesinnung, welche allein der heilige Geist verleiht, nicht aber der freie und überlegte, das Gesetz allein vor Augen habende Wille gebiert, sälig mache und erlöse. – Mit jener Forderung Kants, daß jede tugendhafte Handlung aus reiner, überlegter Achtung vor dem Gesetz und nach dessen abstrakten Maximen, kalt und ohne, ja gegen alle Neigung geschehn solle, ist es gerade so, wie wenn behauptet würde, jedes ächte Kunstwerk müßte durch wohl überlegte Anwendung ästhetischer Regeln entstehn. Eines ist so verkehrt wie das Andere. Die schon von Plato und Seneka behandelte Frage, ob die Tugend sich lehren lasse, ist zu verneinen. Man wird sich endlich entschließen müssen einzusehn, was auch der Christlichen Lehre von der Gnadenwahl den Ursprung gab, daß, der Hauptsache und dem Innern nach, die Tugend gewissermaaßen wie der Genius angeboren ist, und daß eben so wenig, als alle Professoren der Aesthetik, mit vereinten Kräften, irgend Einem die Fähigkeit genialer Produktionen, d.h. achter Kunstwerke beibringen können, eben so wenig alle Professoren der Ethik und Prediger der Tugend einen unedeln Charakter zu einem tugendhaften, edeln umzuschaffen vermögen, wovon die Unmöglichkeit sehr viel offenbarer ist, als die der Umwandlung des Bleies in Gold; und das Aufsuchen einer Ethik und eines obersten Princips derselben, die praktischen Einfluß hätten und wirklich das Menschengeschlecht umwandelten und besserten, ist ganz gleich dem Suchen des Steines der Weisen. – Von der Möglichkeit jedoch einer gänzlichen Sinnesänderung des Menschen (Wiedergeburt), nicht mittelst abstrakter (Ethik), sondern mittelst intuitiver Erkenntniß (Gnadenwirkung), ist am Ende unsers vierten Buches ausführlich geredet; der Inhalt welches Buches mich überhaupt der Nothwendigkeit überhebt, hiebei länger zu verweilen.
Daß Kant in die eigentliche Bedeutung des ethischen Gehaltes der Handlungen keineswegs eingedrungen sei, zeigt er endlich auch durch seine Lehre vom höchsten Gut als der nothwendigen Vereinigung von Tugend und Glücksäligkeit und zwar so, daß jene die Würdigkeit zu dieser wäre. Schon der logische Tadel trifft ihn hier, daß der Begriff der Würdigkeit, der hier den Maaßstab macht, bereits eine Ethik als seinen Maaßstab voraussetzt, also nicht von ihm ausgegangen werden durfte. In unserm vierten Buche hat sich ergeben, daß alle ächte Tugend, nachdem sie ihren höchsten Grad erreicht hat, zuletzt hinleitet zu einer völligen Entsagung, in der alles Wollen ein Ende findet: hingegen ist Glücksäligkeit ein befriedigtes Wollen, Beide sind also von Grund aus unvereinbar. Für Den, welchem meine Darstellung eingeleuchtet hat, bedarf es weiter keiner Auseinandersetzung der gänzlichen Verkehrtheit dieser Kantischen Ansicht vom höchsten Gut. Und unabhängig von meiner positiven Darstellung habe ich hier weiter keine negative zu geben.
Kants Liebe zur architektonischen Symmetrie tritt uns denn auch in der »Kritik der praktischen Vernunft« entgegen, indem er dieser ganz den Zuschnitt der »Kritik der reinen Vernunft« gegeben und die selben Titel und Formen wieder angebracht hat, mit augenscheinlicher Willkür, welche besonders sichtbar wird an der Tafel der Kategorien der Freiheit.
Die Rechtslehre ist eines der spätesten Werke Kants und ein so schwaches, daß, obgleich ich sie gänzlich mißbillige, ich eine Polemik gegen dieselbe für überflüssig halte, da sie, gleich als wäre sie nicht das Werk dieses großen Mannes, sondern das Erzeugniß eines gewöhnlichen Erdensohnes,
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