Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
Vom Netzwerk:
haben. Bloß wenn wir von abstrakten Begriffen zu Bildern der Phantasie übergehn, werden wir uns der Umsetzung bewußt.
    Uebrigens findet, bei der empirischen Wahrnehmung, die Bewußtlosigkeit, mit welcher der Uebergang von der Empfindung zur Ursache derselben geschieht, eigentlich nur bei der Anschauung im engsten Sinn, also beim Sehn Statt; hingegen geschieht er bei allen übrigen sinnlichen Wahrnehmungen mit mehr oder minder deutlichem Bewußtseyn, daher, bei der Apprehension durch die gröberen vier Sinne seine Realität sich unmittelbar faktisch konstatiren läßt. Im Finstern betasten wir ein Ding so lange von allen Seiten, bis wir aus dessen verschiedenen Wirkungen auf die Hände die Ursache derselben als bestimmte Gestalt konstruiren können. Ferner, wenn etwas sich glatt anfühlt, so besinnen wir uns bisweilen, ob wir etwan Fett oder Oel an den Händen haben: auch wohl, wenn es uns kalt berührt, ob wir sehr warme Hände haben. Bei einem Ton zweifeln wir bisweilen, ob er eine bloß innere, oder wirklich eine von außen kommende Affektion des Gehörs war, sodann, ob er nah und schwach, oder fern und stark erscholl, dann, aus welcher Richtung er kam, endlich, ob er die Stimme eines Menschen, eines Thieres, oder eines Instruments war: wir forschen also, bei gegebener Wirkung, nach der Ursache. Beim Geruch und Geschmack ist die Ungewißheit über die Art der objektiven Ursache der empfundenen Wirkung alltäglich: so deutlich treten sie hier auseinander. Daß beim Sehn der Uebergang von der Wirkung zur Ursache ganz unbewußt geschieht, und dadurch der Schein entsteht, als wäre diese Art der Wahrnehmung eine völlig unmittelbare, in der sinnlichen Empfindung allein, ohne Verstandesoperation, bestehende, dies hat seinen Grund theils in der hohen Vollkommenheit des Organs, theils in der ausschließlich geradlinigen Wirkungsart des Lichts. Vermöge dieser letztern leitet der Eindruck selbst schon auf den Ort der Ursache hin, und da das Auge alle Nuancen von Licht, Schatten, Farbe und Umriß, wie auch die Data, nach welchen der Verstand die Entfernung schätzt, auf das Feinste und mit Einem Blick zu empfinden die Fähigkeit hat; so geschieht, bei Eindrücken auf diesen Sinn, die Verstandesoperation mit einer Schnelligkeit und Sicherheit, welche sie so wenig zum Bewußtseyn kommen läßt, wie das Buchstabiren beim Lesen; wodurch also der Schein entsteht, als ob schon die Empfindung selbst unmittelbar die Gegenstände gäbe. Dennoch ist, gerade beim Sehn, die Operation des Verstandes , bestehend im Erkennen der Ursache aus der Wirkung, am bedeutendesten: vermöge ihrer wird das doppelt, mit zwei Augen, Empfundene einfach angeschaut; vermöge ihrer wird der Eindruck, welcher auf der Retina, in Folge der Kreuzung der Strahlen in der Pupille, verkehrt, das Oberste unten, eintrifft, bei Verfolgung der Ursache desselben auf dem Rückwege in gleicher Richtung, wieder zurechtgestellt, oder, wie man sich ausdrückt, sehn wir die Dinge aufrecht, obgleich ihr Bild im Auge verkehrt steht; vermöge jener Verstandesoperation endlich werden, aus fünf verschiedenen Datis, die Th. Reid sehr deutlich und schön beschreibt, Größe und Entfernung in unmittelbarer Anschauung von uns abgeschätzt. Ich habe dies Alles, wie auch die Beweise, welche die Intellektualität der Anschauung unwiderleglich darthun, schon 1816 auseinandergesetzt in meiner Abhandlung »Ueber das Sehn und die Farben« (in zweiter Auflage 1854), mit bedeutenden Vermehrungen aber in der fünfzehn Jahre spätem und verbesserten Lateinischen Bearbeitung derselben, welche, unter dem Titel Theoria colorum physiologica eademque primaria , im dritten Bande der von Justus Radius 1830 herausgegebenen Scriptores ophthalmologici minores steht, am ausführlichsten und gründlichsten jedoch in der zweiten Auflage meiner Abhandlung »Ueber den Satz vom Grunde«, § 21. Dahin also verweise ich über diesen wichtigen Gegenstand, um gegenwärtige Erläuterungen nicht noch mehr anzuschwellen.
    Hingegen mag eine ins Aesthetische einschlagende Bemerkung hier ihre Stelle finden. Vermöge der bewiesenen Intellektualität der Anschauung ist auch der Anblick schöner Gegenstände, z.B. einer schönen Aussicht, ein Gehirnphänomen . Die Reinheit und Vollkommenheit desselben hängt daher nicht bloß vom Objekt ab, sondern auch von der Beschaffenheit des Gehirns, nämlich von der Form und Größe desselben, von der Feinheit seiner Textur und von der Belebung seiner Thätigkeit durch die

Weitere Kostenlose Bücher