Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
Vom Netzwerk:
Tête de crapaud seyn, mit bloßen Sinneswerkzeugen, ohne Gehirn. Um aus unzähligen nur ein Paar der besseren Versuche dieser Art beispielsweise anzuführen, nenne ich Condorcet im Anfang seines Buches: Des progrès de l'esprit humain , und Tourtual über das Sehn, im zweiten Bande der Scriptores ophthalmologici minores; edidit Justus Radius (1828) .
    Das Gefühl der Unzulänglichkeit einer bloß sensualistischen Erklärung der Anschauung zeigt sich gleichfalls in der, kurz vor dem Auftreten der Kantischen Philosophie ausgesprochenen Behauptung, daß wir nicht bloße, durch Sinnesempfindung erregte Vorstellungen von den Dingen hätten, sondern unmittelbar die Dinge selbst wahrnähmen, obwohl sie außer uns lägen; welches freilich unbegreiflich sei. Und dies war nicht etwan idealistisch gemeint, sondern vom gewöhnlichen realistischen Standpunkt aus gesagt. Gut und bündig drückt jene Behauptung der berühmte Euler aus, in seinen »Briefen an eine Deutsche Prinzessin«, Bd. 2, S. 68. »Ich glaube daher, daß die Empfindungen (der Sinne) noch etwas mehr enthalten, als die Philosophen sich einbilden. Sie sind nicht bloß leere Wahrnehmungen von gewissen im Gehirn gemachten Eindrücken: sie geben der Seele nicht bloß Ideen von Dingen; sondern sie stellen ihr auch wirklich Gegenstände vor , die außer ihr existiren, ob man gleich nicht begreifen kann, wie dies eigentlich zugehe. « Diese Meinung erklärt sich aus Folgendem. Obwohl, wie ich hinlänglich bewiesen habe, die Anwendung des uns a priori bewußten Kausalitätsgesetzes die Anschauung vermittelt; so tritt dennoch, beim Sehn, der Verstandesakt, mittelst dessen wir von der Wirkung zur Ursache übergehn, keineswegs ins deutliche Bewußtsein: daher sondert sich die Sinnesempfindung nicht von der aus ihr, als dem rohen Stoff, erst vom Verstande gebildeten Vorstellung. Noch weniger kann ein, überhaupt nicht Statt habender, Unterschied zwischen Gegenstand und Vorstellung ins Bewußtseyn treten; sondern wir nehmen ganz unmittelbar die Dinge selbst wahr, und zwar als außer uns gelegen; obwohl gewiß ist, daß das Unmittelbare nur die Empfindung seyn kann, und diese auf das Gebiet unterhalb unserer Haut beschränkt ist. Dies ist daraus erklärlich, daß das Außer uns eine ausschließlich räumliche Bestimmung, der Raum selbst aber eine Form unsers Anschauungsvermögens, d.h. eine Funktion unsers Gehirns ist: daher liegt das Außer uns, wohin wir, auf Anlaß der Gesichtsempfindung, Gegenstände versetzen, selbst innerhalb unsers Kopfes: denn da ist sein ganzer Schauplatz. Ungefähr wie wir im Theater Berge, Wald und Meer sehn, aber doch Alles im Hause bleibt. Hieraus wird begreiflich, daß wir die Dinge mit der Bestimmung Außerhalb und doch ganz unmittelbar anschauen, nicht aber eine von den Dingen, die außerhalb lägen, verschiedene Vorstellung derselben innerhalb. Denn im Raume und folglich auch außer uns sind die Dinge nur sofern wir sie vorstellen : daher sind diese Dinge , die wir solchermaaßen unmittelbar selbst, und nicht etwan ihr bloßes Abbild, anschauen, eben selbst auch nur unsere Vorstellungen , und als solche nur in unserm Kopfe vorhanden. Also nicht sowohl, wie Euler sagt, schauen wir die außerhalb gelegenen Dinge unmittelbar selbst an; als vielmehr: die von uns als außerhalb gelegen angeschauten Dinge sind nur unsere Vorstellungen und deshalb ein von uns unmittelbar Wahrgenommenes. Die ganze oben in Eulers Worten gegebene und richtige Bemerkung liefert also eine neue Bestätigung der Kantischen transscendentalen Aesthetik und meiner darauf gestützten Theorie der Anschauung, wie auch des Idealismus überhaupt. Die oben erwähnte Unmittelbarkeit und Bewußtlosigkeit, mit der wir, bei der Anschauung, den Uebergang von der Empfindung zu ihrer Ursache machen, läßt sich erläutern durch einen analogen Hergang beim abstrakten Vorstellen, oder Denken. Beim Lesen und Hören nämlich empfangen wir bloße Worte, gehn aber von diesen so unmittelbar zu den durch sie bezeichneten Begriffen über, daß es ist, als ob wir unmittelbar die Begriffe empfiengen: denn wir werden uns des Ueberganges zu diesen gar nicht bewußt. Daher wissen wir bisweilen nicht, in welcher Sprache wir gestern etwas, dessen wir uns erinnern, gelesen haben. Daß ein solcher Uebergang dennoch jedesmal Statt hat, wird bemerklich, wenn er ein Mal ausbleibt, d.h. wenn wir, in der Zerstreuung, gedankenlos lesen und dann inne werden, daß wir zwar alle Worte, aber keinen Begriff empfangen

Weitere Kostenlose Bücher