Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
oben erörterten, zu weiten Fassung des Begriffes Ursache , im abstrakten Denken, hat man mit demselben auch den Begriff der Kraft verwechselt: diese, von der Ursache völlig verschieden, ist jedoch Das, was jeder Ursache ihre Kausalität, d.h. die Möglichkeit zu wirken, ertheilt; wie ich dies im zweiten Buche des ersten Bandes, sodann im »Willen in der Natur«, endlich auch in der zweiten Auflage der Abhandlung »Ueber den Satz vom Grunde«, § 20, S. 44, ausführlich und gründlich dargethan habe. Am plumpesten findet man diese Verwechselung im oben erwähnten Buche von Maine de Biran , worüber das Nähere am zuletzt angeführten Orte: jedoch ist sie auch außerdem häufig, z.B. wenn nach der Ursache irgend einer ursprünglichen Kraft, z.B. der Schwerkraft, gefragt wird. Nennt doch Kant selbst (über den einzig möglichen Beweisgrund, Bd. 1, S. 211 und 215 der Rosenkranzischen Ausgabe) die Naturkräfte »wirkende Ursachen« und sagt: »die Schwere ist eine Ursache«. Es ist jedoch unmöglich, mit seinem Denken im Klaren zu seyn, so lange darin Kraft und Ursache nicht als völlig verschieden deutlich erkannt werden. Zur Verwechselung derselben führt aber sehr leicht der Gebrauch abstrakter Begriffe, wenn die Betrachtung ihres Ursprungs bei Seite gesetzt wird. Man verläßt die auf der Form des Verstandes beruhende, stets anschauliche Erkenntniß der Ursachen und Wirkungen, um sich an das Abstraktum Ursache zu halten: bloß dadurch ist der Begriff der Kausalität, bei aller seiner Einfachheit, so sehr häufig falsch gefaßt worden. Daher finden wir selbst beim Aristoteles (Metaph., IV, 2) die Ursachen in vier Klassen getheilt, welche grundfalsch, ja wirklich roh aufgegriffen sind. Man vergleiche damit meine Eintheilung der Ursachen, wie ich sie in meiner Abhandlung über das Sehn und die Farben, Kap. I, zuerst aufgestellt, in § 6 unsers ersten Bandes kurz berührt, ausführlich aber in der Preisschrift »Ueber die Freiheit des Willens«, S. 30-33 dargelegt habe. – Von der Kette der Kausalität, welche vorwärts und rückwärts endlos ist, bleiben in der Natur zwei Wesen unberührt: die Materie und die Naturkräfte. Diese beiden nämlich sind die Bedingungen der Kausalität, während alles Andere durch diese bedingt ist. Denn das Eine (die Materie) ist Das, an welchem die Zustände und ihre Veränderungen eintreten; das Andere (die Naturkräfte) Das, vermöge dessen allein sie überhaupt eintreten können. Hiebei aber sei man eingedenk, daß im zweiten Buche und später, auch gründlicher, im »Willen in der Natur«, die Naturkräfte als identisch mit dem Willen in uns nachgewiesen werden, die Materie aber sich als die bloße Sichtbarkeit des Willens ergiebt; so daß auch sie zuletzt, in gewissem Sinne, als identisch mit dem Willen betrachtet werden kann.
Andererseits bleibt nicht minder wahr und richtig, was § 4 des ersten Bandes, und noch besser in der zweiten Auflage der Abhandlung »Ueber den Satz vom Grunde«, am Schluß des § 21, S. 77, auseinandergesetzt ist, daß nämlich die Materie die objektiv aufgefaßte Kausalität selbst sei, indem ihr ganzes Wesen im Wirken überhaupt besteht, sie selbst also die Wirksamkeit ( energeia = Wirklichkeit) der Dinge überhaupt ist, gleichsam das Abstraktum alles ihres verschiedenartigen Wirkens. Da demnach das Wesen, Essentia , der Materie im Wirken überhaupt besteht, die Wirklichkeit, Existentia , der Dinge aber eben in ihrer Materialität, die also wieder mit dem Wirken überhaupt Eins ist; so läßt sich von der Materie behaupten, daß bei ihr Existentia und Essentia zusammenfallen und Eins seien: denn sie hat keine andern Attribute als das Daseyn selbst überhaupt und abstrahirt von aller näheren Bestimmung desselben. Hingegen ist jede empirisch gegebene Materie, also der Stoff (den unsere heutigen unwissenden Materialisten mit der Materie verwechseln) schon in die Hülle der Formen eingegangen und manifestirt sich allein durch deren Qualitäten und Accidenzien; weil in der Erfahrung jedes Wirken ganz bestimmter und besonderer Art ist, nie ein bloß allgemeines. Daher eben ist die reine Materie ein Gegenstand des Denkens allein, nicht der Anschauung ; welches den Plotinos (Enneas II, lib. 4, c. 8 u. 9) und den Jordanus Brunus (Della causa, dial. 4) zu dem paradoxen Ausspruch gebracht hat, daß die Materie keine Ausdehnung, als welche von der Form unzertrennlich sei, habe und daher unkörperlich sei; hatte doch schon Aristoteles gelehrt, daß sie kein Körper
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