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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Ursache und welcher die Wirkung sei. – Die Falschheit der Behauptung, daß Ursache und Wirkung gleichzeitig wären, ergiebt zudem sich auch aus folgender Betrachtung. Eine ununterbrochene Kette von Ursachen und Wirkungen füllt die gesammte Zeit. (Denn wäre sie unterbrochen, so stände die Welt stille, oder es müßte, um sie wieder in Bewegung zu setzen, eine Wirkung ohne Ursache eintreten.) Wäre nun jede Wirkung mit ihrer Ursache zugleich , so würde jede Wirkung in die Zeit ihrer Ursache hinaufgerückt und eine noch so vielgliederige Kette von Ursachen und Wirkungen würde gar keine Zeit, viel weniger eine endlose, ausfüllen; sondern alle zusammen wären in Einem Augenblick. Also schrumpft, unter der Annahme Ursache und Wirkung seien gleichzeitig, der Weltlauf zur Sache eines Augenblicks zusammen. Dieser Beweis ist dem analog, daß jedes Blatt Papier eine Dicke haben muß, weil sonst das ganze Buch keine hätte. Anzugeben, wann die Ursache aufhört und die Wirkung anfängt, ist in fast allen Fällen schwer und oft unmöglich. Denn die Veränderungen (d.h. die Succession der Zustände) sind ein Kontinuum, wie die Zeit, welche sie füllen, also auch wie diese ins Unendliche theilbar. Aber ihre Reihenfolge ist so nothwendig bestimmt und unverkehrbar, wie die der Zeitmomente selbst: und jede von ihnen heißt in Beziehung auf die ihr vorhergegangene »Wirkung«, auf die ihr nachfolgende »Ursache«.
    Jede Veränderung in der materiellen Welt kann nur eintreten, sofern eine andere ihr unmittelbar vorhergegangen ist : dies ist der wahre und ganze Inhalt des Gesetzes der Kausalität. Allein kein Begriff ist in der Philosophie mehr gemißbraucht worden, als der der Ursache , mittelst des so beliebten Kunstgriffs oder Mißgriffs, ihn, durch das Denken in abstracto , zu weit zu fassen, zu allgemein zu nehmen. Seit der Scholastik, ja eigentlich seit Plato und Aristoteles, ist die Philosophie großentheils ein fortgesetzter Mißbrauch allgemeiner Begriffe . Solche sind z.B. Substanz, Grund, Ursache, das Gute, die Vollkommenheit, Nothwendigkeit, Möglichkeit und gar viele andere. Eine Neigung der Köpfe zum Operiren mit solchen abstrakten und zu weit gefaßten Begriffen hat sich fast zu allen Zeiten gezeigt: sie mag zuletzt auf einer gewissen Trägheit des Intellekts beruhen, dem es zu beschwerlich ist, das Denken stets durch die Anschauung zu kontroliren. Solche zu weite Begriffe werden dann allmälig fast wie algebraische Zeichen gebraucht und wie diese hin und her geworfen, wodurch das Philosophiren zu einem bloßen Kombiniren, zu einer Art Rechnerei ausartet, welche (wie alles Rechnen) nur niedrige Fähigkeiten beschäftigt und erfordert. Ja, zuletzt entsteht hieraus ein bloßer Wortkram : von einem solchen liefert uns das scheußlichste Beispiel die kopfverderbende Hegelei, als in welcher er bis zum haaren Unsinn getrieben wird. Aber auch schon die Scholastik ist oft in Wortkram ausgeartet. Ja, sogar die Topi des Aristoteles, – ganz allgemein gefaßte, sehr abstrakte Grundsätze, die man, zum pro oder contra disputiren, auf die verschiedenartigsten Gegenstände anwenden und überall ins Feld stellen konnte, – haben schon ihren Ursprung in jenem Mißbrauch allgemeiner Begriffe. Von dem Verfahren der Scholastiker mit solchen Abstraktis findet man unzählige Beispiele in ihren Schriften, vorzüglich im Thomas Aquinas . Auf der von den Scholastikern gebrochenen Bahn ist aber eigentlich die Philosophie fortgegangen, bis auf Locke und Kant , welche endlich sich auf den Ursprung der Begriffe besannen. Ja, wir treffen Kanten selbst, in seinen früheren Jahren, noch auf jenem Wege an, in seinem »Beweisgrund des Daseyns Gottes« (S. 191 des ersten Bandes der Rosenkranzischen Ausgabe), wo die Begriffe Substanz, Grund, Realität , in solcher Art gebraucht werden, wie sie es nimmermehr könnten, wenn man auf den Ursprung und den durch diesen bestimmten wahren Gehalt jener Begriffe zurückgegangen wäre: denn da hätte man gefunden, als Ursprung und Gehalt von Substanz allein die Materie, von Grund (wenn von Dingen der realen Welt die Rede ist) allein Ursache, d.h. die frühere Veränderung, welche die spätere herbeiführt, u.s.w. Freilich hätte das hier nicht zum beabsichtigten Resultat geführt. Aber überall, wie hier, entstanden aus solchen zu weit gefaßten Begriffen, unter welche sich daher mehr subsumiren ließ, als ihr wahrer Inhalt gestattet haben würde, falsche Sätze und aus diesen falsche Systeme. Auch Spinoza's

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