Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
hört oder liest man sie; so ist es, als hätte man ein schlechtes Fernrohr gegen ein gutes vertauscht. Man lese z.B. nur in Eulers Briefen an eine Prinzessin seine Darstellung der Grundwahrheiten der Mechanik und Optik. Hierauf beruht Diderots, im Neveu de Rameau beigebrachte Bemerkung, daß nur die vollendeten Meister fähig sind, die Elemente einer Wissenschaft eigentlich gut vorzutragen; eben weil nur sie die Sachen wirklich verstehn und niemals ihnen Worte die Stelle der Gedanken vertreten.
Aber man soll wissen, daß die schlechten Köpfe die Regel, die guten die Ausnahme, die eminenten höchst selten, das Genie ein portentum ist. Wie könnte sonst ein aus ungefähr acht hundert Millionen Individuen bestehendes Menschengeschlecht, nach sechs Jahrtausenden, noch so Vieles zu entdecken, zu erfinden, zu erdenken und zu sagen übrig gelassen haben? Auf Erhaltung des Individuums allein ist der Intellekt berechnet und in der Regel selbst hiezu nur nothdürftig ausreichend. Aber weislich ist die Natur mit Ertheilung eines größern Maaßes sehr karg gewesen: denn der beschränkte Kopf kann die wenigen und einfachen Verhältnisse, welche im Bereich seiner engen Wirkungssphäre liegen, mit viel größerer Leichtigkeit übersehn und die Hebel derselben handhaben, als der eminente, der eine ungleich größere und reichere Sphäre überblickt und mit langen Hebeln agirt, es könnte. So sieht das Insekt auf seinen Stängeln und Blättchen Alles mit minutiösester Genauigkeit und besser, als wir; wird aber nicht den Menschen gewahr, der drei Schritte davon steht. Hierauf beruht die Schlauheit der Dummen und das Paradoxon: Il y a un mystère dans l'esprit des gens qui n'en ont pas. Für das praktische Leben ist das Genie so brauchbar, wie ein Stern-Teleskop im Theater. – Sonach ist, in Hinsicht auf den Intellekt, die Natur höchst aristokratisch . Die Unterschiede, die sie hier eingesetzt hat, sind größer als die, welche Geburt, Rang, Reichthum, oder Kastenunterschied in irgend einem Lande feststellen; aber wie in andern Aristokratien, so auch in der ihrigen, kommen viele tausend Plebejer auf einen Edeln, viele Millionen auf einen Fürsten, und ist der große Haufen bloßer Pöbel, mob, rabble, la canaille. Dabei ist nun freilich zwischen der Rangliste der Natur und der der Konvention ein schreiender Kontrast, dessen Ausgleichung nur In einem goldenen Zeitalter zu hoffen stände. Inzwischen haben die auf der einen, und die auf der andern Rangliste sehr hoch Stehenden das Gemeinsame, daß sie meistens in vornehmer Isolation leben, auf welche Byron hindeutet, wenn er sagt:
To feel me in the solitude of kings,
Without the power that makes them bear a crown 14 .
( Proph. of Dante. C. 1.)
Denn der Intellekt ist ein differenzirendes, mithin trennendes Princip: seine verschiedenen Abstufungen geben, noch viel mehr als die der bloßen Bildung, Jedem andere Begriffe, in Folge deren gewissermaaßen Jeder in einer andern Welt lebt, in welcher er nur dem Gleichgestellten unmittelbar begegnet, den Uebrigen aber bloß aus der Ferne zurufen und sich ihnen verständlich zu machen suchen kann. Große Unterschiede im Grade und dabei in der Ausbildung des Verstandes öffnen zwischen Mensch und Mensch eine weite Kluft, über welche nur die Herzensgüte setzen kann, als welche im Gegentheil das unificirende Princip ist, welches jeden Andern mit dem eigenen Selbst identificirt. Jedoch bleibt die Verbindung eine moralische: sie kann keine intellektuelle werden. Sogar bei ziemlich gleichem Grade der Bildung gleicht die Konversation zwischen einem großen Geiste und einem gewöhnlichen Kopfe der gemeinschaftlichen Reise eines Mannes, der auf einem muthigen Rosse sitzt, mit einem Fußgänger. Beiden wird sie bald höchst lästig und auf die Länge unmöglich. Auf eine kurze Strecke kann zwar der Reiter absitzen, um mit dem Andern zu gehn; wiewohl auch dann ihm die Ungeduld seines Pferdes viel zu schaffen machen wird. –
Das Publikum aber könnte durch nichts so sehr gefördert werden, als durch die Erkenntniß jener intellektuellen Aristokratie der Natur . Vermöge einer solchen würde es begreifen, daß zwar, wo es sich um Thatsachen handelt, also etwan aus Experimenten, Reisen, Codices, Geschichtsbüchern und Chroniken referirt werden soll, der normale Kopf ausreicht; hingegen wo es sich bloß um Gedanken handelt, zumal um solche, zu welchen der Stoff, die Data, jedem vorliegen, wo es also eigentlich nur darauf ankommt, den Andern
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