Ich koch dich tot: (K)ein Liebes-Roman
Kapitel eins
Als Vivi das Dessert ins Esszimmer trug, ein Orangenparfait mit frischen Erdbeeren, ruhte der Kopf ihres Gatten in einem See aus Bratensauce. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Werners Oberkörper lag nach vorn gekippt über der Tischkante, sein Gesicht war seitlich auf dem Teller gelandet. Ein paar Saucenspritzer hatten das Tischtuch besprenkelt. Nanu, war Werner etwa eingeschlafen? Auf Zehenspitzen näherte sie sich ihm. Beugte sich über die reglose Gestalt. Sah die starren, weit aufgerissenen Augen. Dann ließ sie die Dessertschüssel fallen. Scheppernd zerbrach sie auf dem Natursteinboden. Werner atmete nicht. Er würde nie wieder atmen. Werner war tot.
Vivi rang nach Luft. Das konnte doch nicht sein. Werner war ein Baum von einem Mann, vital, kräftig und erst Mitte fünfzig. Da gab man nicht einfach mitten beim Essen den Löffel ab. Panisch musterte sie sein Gesicht. Es hatte sich bläulich gefärbt und wirkte eigentümlich verzerrt. Kein Zweifel: Er hatte sich lautlos aus dem Leben verabschiedet, das sie nun schon seit fast fünfzehn Jahren miteinander teilten.
Heiße Tränen schossen ihr in die Augen. Noch vor zehn Minuten hatten sie gestritten, weil Vivi endlich einmal wieder ausgehen wollte. In ein schönes Restaurant zum Beispiel. Werner hingegen wühlte in Chipstüten, als wären Diamanten drin, und meinte allen Ernstes, dass stundenlanges Fernsehen und literweise eisgekühltes Bier die genialsten Erfindungender modernen Zivilisation seien. Seine Vorstellung von einem gelungenen Abend war simpel: vorher keinen Plan, hinterher keine Erinnerung.
Das war Vivi mächtig auf den Zeiger gegangen. Sie wollte auch mal was erleben, ins Kino oder essen gehen, Spaß haben. Deshalb der Streit. Die letzten Worte, die Werner gehört hatte, waren gewesen: »Ich hänge hier nicht jeden Abend auf der Couch rum und kraule dir die Klöten!« Erbittert hatte Vivi ihm den Satz entgegengeschleudert. Nun war Werner damit ins Jenseits gesegelt.
Schuldbewusst sank sie auf einen Stuhl. Mit zitternden Fingern griff sie zu ihrem Rotweinglas und stürzte den Rest darin auf einen Zug hinunter. Hatte der Streit ihn getötet? Hatte er sich womöglich so aufgeregt, dass sein chronischer Bluthochdruck zu Herzversagen geführt hatte? War er sozusagen an gebrochenem Herzen gestorben?
»Wo nix ist, kann auch nichts brechen«, flüsterte sie vor sich hin.
Nein, ein Herz, das diesen Namen verdiente, konnte man Werner beim besten Willen nicht nachsagen. Er war in den vergangenen Jahren immer mehr zum Haustyrannen geworden – schimpfend, missgelaunt und völlig charmefrei. Woran also war er dann gestorben?
Eine siedend heiße Welle überlief sie, als sie den Pfefferstreuer auf dem Tisch entdeckte. Vivi war eine exzellente Köchin, Salz und Pfeffer duldete sie nicht an ihrer Tafel. Mehr als ein Gast hatte ihre eisige Verachtung zu spüren bekommen, wenn er auf eigene Faust nachwürzen wollte. Kochen ist Kunst, sagte sie immer. Man nimmt ja auch keinen Kugelschreiber und malt damit auf der Mona Lisa rum.
Doch es war nicht gekränkte Köchinnenehre, die ihr jetzt das Blut in den Adern stocken ließ. Noch am Morgen hatte sie den alten Pfefferstreuer, den sie schon länger durch eine Hightech-Pfeffermühle ersetzt hatte, gefüllt – allerdings nicht mit Pfeffer, sondern mit Rattengift. Eine Maus hatte sich in die Küche verirrt, und sie hatte dem ungebetenen Tier das finale Festmahl bereitet: ein Stückchen Brot, eine Käserinde und ein paar Nüsse. Das Ganze hatte sie großzügig mit Rattengift gewürzt. Aus dem Pfefferstreuer. Genau dem Pfefferstreuer, der jetzt neben Werner stand.
Die Erkenntnis traf sie wie ein Fausthieb in den Magen: Sie hatte Werner vergiftet! Sie hatte ihren eigenen Mann umgebracht!
Vivi fing an zu schluchzen. Das war eine Katastrophe. Wenn alles mit rechten Dingen zuging, würde sie den Rest ihres Lebens im Gefängnis zubringen. Wer würde ihr schon glauben, dass dies ein bedauerlicher Unfall war? Die Indizien sprachen gegen sie. Das hier sah nach Mord aus, nach kaltblütig geplantem Mord. Ihre Hände krallten sich am Tischtuch fest.
»Ich bin verloren«, murmelte sie mit Grabesstimme.
Schon fast eine Stunde hockte Vivi nun am Esstisch, unfähig, auch nur einen kleinen Finger zu bewegen. Inzwischen war es fast dunkel geworden. Wie im Dämmerschlaf lag das Esszimmer da. Man konnte kaum den Tisch erkennen, eingedeckt mit feinstem Damast, edlem Silberbesteck und geschliffenen Kristallgläsern. An den
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