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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Gedächtniß seinen Dienst, selbst in Dingen, die es zur andern Zeit leicht, zur Hand hat. Diese Betrachtung fordert uns auf, in unsern Studien mehr nach Erlangung richtiger Einsicht, als nach Vermehrung der Gelehrsamkeit zu streben, und zu beherzigen, daß die Qualität des Wissens wichtiger ist, als die Quantität desselben. Diese ertheilt den Büchern bloß Dicke, jene Gründlichkeit und zugleich Stil: denn sie ist eine intensive Größe, während die andere eine bloß extensive ist. Sie besteht in der Deutlichkeit und Vollständigkeit der Begriffe, nebst der Reinheit und Richtigkeit der ihnen zum Grunde liegenden anschaulichen Erkenntnisse; daher das ganze Wissen, in allen seinen Theilen von ihr durchdrungen wird und demgemäß werthvoll, oder gering ist. Mit kleiner Quantität, aber guter Qualität desselben leistet man mehr, als mit sehr großer Quantität, bei schlechter Qualität. –
    Die vollkommenste und genügendeste Erkenntniß ist die anschauende; aber sie ist auf das ganz Einzelne, das Individuelle beschränkt. Die Zusammenfassung des Vielen und Verschiedenen in eine Vorstellung ist nur möglich durch den Begriff , d.h. durch das Weglassen der Unterschiede, mithin ist dieser eine sehr unvollkommene Art des Vorstellens. Freilich kann auch das Einzelne unmittelbar als ein Allgemeines aufgefaßt werden, wenn es nämlich zur (Platonischen) Idee erhoben wird: bei diesem Vorgang aber, den ich im dritten Buch analysirt habe, tritt auch schon der Intellekt aus den Schranken der Individualität und mithin der Zeit heraus: auch ist es nur eine Ausnahme.
    Diese innern und wesentlichen Unvollkommenheiten des Intellekts werden noch erhöht durch eine ihm gewissermaaßen äußerliche, aber unausbleibliche Störung, nämlich durch den Einfluß, welchen auf alle seine Operationen der Wille ausübt, sobald er beim Resultat derselben irgend betheiligt ist. Jede Leidenschaft, ja, jede Neigung oder Abneigung, tingirt die Objekte der Erkenntniß mit ihrer Farbe. Am alltäglichsten ist die Verfälschung, welche Wunsch und Hoffnung an der Erkenntniß ausüben, indem sie uns das kaum Mögliche als wahrscheinlich und beinahe gewiß vorspiegeln und zur Auffassung des Entgegenstehenden uns fast unfähig machen: auf ähnliche Weise wirkt die Furcht; auf analoge jede vorgefaßte Meinung, jede Parteilichkeit und, wie gesagt, jedes Interesse, jede Regung und jeder Hang des Willens.
    Zu allen diesen Unvollkommenheiten des Intellekts kommt endlich noch die, daß er, mit dem Gehirn, altert, d.h. wie alle physiologischen Funktionen, in den spätem Jahren seine Energie verliert; wodurch dann alle seine Unvollkommenheiten sehr zunehmen.
    Die hier dargelegte mangelhafte Beschaffenheit des Intellekts wird uns indessen nicht wundern, wenn wir auf seinen Ursprung und seine Bestimmung zurücksehn, wie ich solche im zweiten Buche nachgewiesen habe. Zum Dienst eines individuellen Willens hat ihn die Natur hervorgebracht: daher ist er allein bestimmt, die Dinge zu erkennen, sofern sie die Motive eines solchen Willens abgeben; nicht aber, sie zu ergründen, oder ihr Wesen an sich aufzufassen. Der menschliche Intellekt ist nur eine höhere Steigerung des thierischen: und wie dieser ganz auf die Gegenwart beschränkt ist, so trägt auch der unserige starke Spuren dieser Beschränkung. Daher ist unser Gedächtniß und Rückerinnerung etwas sehr Unvollkommenes: wie wenig von Dem, was wir gethan, erlebt, gelernt, gelesen haben, können wir uns zurückrufen! und selbst dies Wenige meistens nur mühsam und unvollständig. Aus dem selben Grunde wird es uns so sehr schwer, uns vom Eindrucke der Gegenwart frei zu erhalten. – Bewußtlosigkeit ist der ursprüngliche und natürliche Zustand aller Dinge, mithin auch die Basis, aus welcher, in einzelnen Arten der Wesen, das Bewußtseyn, als die höchste Efflorescenz derselben, hervorgeht, weshalb auch dann jene immer noch vorwaltet. Demgemäß sind die meisten Wesen ohne Bewußtseyn: sie wirken dennoch nach den Gesetzen ihrer Natur, d.h. ihres Willens. Die Pflanzen haben höchstens ein ganz schwaches Analogen von Bewußtseyn, die untersten Thiere bloß eine Dämmerung desselben. Aber auch nachdem es sich, durch die ganze Thierreihe, bis zum Menschen und seiner Vernunft gesteigert hat, bleibt die Bewußtlosigkeit der Pflanze, von der es ausgieng, noch immer die Grundlage, und ist zu spüren in der Nothwendigkeit des Schlafes, wie eben auch in allen hier dargelegten, wesentlichen und großen Unvollkommenheiten

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