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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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und Steigerung des Willens, darin der Affekt besteht, auch der Intellekt mit gesteigert werden: allein er wird, wie wir gesehn haben, vielmehr dadurch gehindert und deprimirt, weshalb die Alten den Affekt animi perturbatio nannten. Wirklich gleicht der Intellekt der Spiegelfläche des Wassers, dieses selbst aber dem Willen, dessen Erschütterung daher die Reinheit jenes Spiegels und die Deutlichkeit seiner Bilder sogleich aufhebt. Der Organismus ist der Wille selbst, ist verkörperter, d.h. objektiv im Gehirn angeschauter Wille : deshalb werden durch die freudigen und überhaupt die rüstigen Affekte manche seiner Funktionen, wie Respiration, Blutumlauf, Gallenabsonderung, Muskelkraft, erhöht und beschleunigt. Der Intellekt hingegen ist die bloße Funktion des Gehirns , welches vom Organismus nur parasitisch genährt und getragen wird: deshalb muß jede Perturbation des Willens , und mit ihm des Organismus , die für sich bestehende und keine andern Bedürfnisse, als nur die der Ruhe und Nahrung kennende Funktion des Gehirns stören oder lähmen.
    Dieser störende Einfluß der Thätigkeit des Willens auf den Intellekt ist aber nicht allein in den durch die Affekte herbeigeführten Perturbationen nachzuweisen, sondern ebenfalls in manchen andern, allmäligeren und daher anhaltenderen Verfälschungen des Denkens durch unsere Neigungen. Die Hoffnung läßt uns was wir wünschen, die Furcht was wir besorgen, als wahrscheinlich und nahe erblicken, und Beide vergrößern ihren Gegenstand. Plato (nach Aelian, V. H., 13, 28) hat sehr schön die Hoffnung den Traum des Wachenden genannt. Ihr Wesen liegt darin, daß der Wille seinen Diener, den Intellekt , wann dieser nicht vermag das Gewünschte herbeizuschaffen, nöthigt, es ihm wenigstens vorzumalen, überhaupt die Rolle des Trösters zu übernehmen, seinen Herrn, wie die Amme das Kind, mit Mährchen zu beschwichtigen und diese aufzustutzen, daß sie Schein gewinnen; wobei nun der Intellekt seiner eigenen Natur, die auf Wahrheit gerichtet ist, Gewalt anthun muß, indem er sich zwingt, Dinge, die weder wahr, noch wahrscheinlich, oft kaum möglich sind, seinen eigenen Gesetzen zuwider, für wahr zu halten, um nur den unruhigen und unbändigen Willen auf eine Weile zu beschwichtigen, zu beruhigen und einzuschläfern. Hier sieht man deutlich, wer Herr und wer Diener ist. – Wohl Manche mögen die Beobachtung gemacht haben, daß wenn eine für sie wichtige Angelegenheit mehrere Entwickelungen zuläßt, und sie nun diese alle, in ein, ihrer Meinung nach, vollständiges disjunktives Urtheil gebracht haben, dennoch der Ausgang ein ganz anderer und ihnen völlig unerwarteter wird: aber vielleicht werden sie nicht darauf geachtet haben, daß dieser dann fast immer der für sie ungünstigste war. Dies ist daraus zu erklären, daß, während ihr Intellekt die Möglichkeiten vollständig zu überschauen vermeinte, die schlimmste von allen ihm ganz unsichtbar blieb; weil der Wille sie gleichsam mit der Hand verdeckt hielt, d.h. den Intellekt so bemeisterte, daß er auf den allerschlimmsten Fall zu blicken gar nicht fähig war, obwohl dieser, da er wirklich wurde, auch wohl der wahrscheinlichste gewesen. Jedoch in entschieden melancholischen, oder aber durch diese nämliche Erfahrung gewitzigten Gemüthern kehrt sich der Hergang wohl auch um, indem hier die Besorgniß die Rolle spielt, welche dort die Hoffnung. Der erste Schein einer Gefahr versetzt sie in grundlose Angst. Fängt der Intellekt an, die Sachen zu untersuchen; so wird er als inkompetent, ja, als trügerischer Sophist abgewiesen, weil dem Herzen zu glauben sei, dessen Zagen jetzt geradezu als Argument für die Realität und Größe der Gefahr geltend gemacht wird. So darf dann der Intellekt die guten Gegengründe gar nicht suchen, welche er, sich selber überlassen, bald erkennen würde; sondern wird genöthigt, sogleich den unglücklichsten Ausgang ihnen vorzustellen, wenn auch er selbst ihn kaum als möglich denken kann:

    Such as we know is false, yet dread in sooth,
    Because the worst is ever nearest truth 21 .
    (Byron, Lara. C. 1.)

    Liebe und Haß verfälschen unser Urtheil gänzlich: an unsern Feinden sehn wir nichts, als Fehler, an unsern Lieblingen lauter Vorzüge, und selbst ihre Fehler scheinen uns liebenswürdig. Eine ähnliche geheime Macht übt unser Vortheil , welcher Art er auch sei, über unser Urtheil aus: was ihm gemäß ist, erscheint uns alsbald billig, gerecht, vernünftig; was ihm zuwider läuft,

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