Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Erscheinung desselben. Seine Unermüdlichkeit theilt er, auf die Dauer des Lebens, dem Herzen mit, diesem primum mobile des Organismus, welches deshalb sein Symbol und Synonym geworden ist. Auch schwindet er nicht, im Alter, sondern will noch immer was er gewollt hat, ja wird fester und unbiegsamer, als er in der Jugend gewesen, unversöhnlicher, eigensinniger, unlenksamer, weil der Intellekt unempfänglicher geworden: daher dann nur durch Benutzung der Schwäche dieses ihm allenfalls beizukommen ist.
Auch die durchgängige Schwäche und Unvollkommenheit des Intellekts, wie sie in der Urtheilslosigkeit, Beschränktheit, Verkehrtheit, Thorheit der allermeisten Menschen zu Tage liegt, wäre ganz unerklärlich, wenn der Intellekt nicht ein Sekundäres, Hinzugekommenes, bloß Instrumentales, sondern das unmittelbare und ursprüngliche Wesen der sogenannten Seele, oder überhaupt des innern Menschen wäre; wie alle bisherigen Philosophen es angenommen haben. Denn wie sollte das ursprüngliche Wesen, in seiner unmittelbaren und eigenthümlichen Funktion, so häufig irren und fehlen? – Das wirklich Ursprüngliche im menschlichen Bewußtseyn, das Wollen , geht eben auch allemal vollkommen von Statten: jedes Wesen will unablässig, tüchtig und entschieden. Das Unmoralische im Willen als eine Unvollkommenheit desselben anzusehn, wäre ein grundfalscher Gesichtspunkt: vielmehr hat die Moralität eine Quelle, welche eigentlich schon über die Natur hinaus liegt, daher sie mit den Aussagen derselben in Widerspruch steht. Darum eben tritt sie dem natürlichen Willen, als welcher an sich schlechthin egoistisch ist, geradezu entgegen, ja, die Fortsetzung ihres Weges führt zur Aufhebung desselben. Hierüber verweise ich auf unser viertes Buch und auf meine Preisschrift »Ueber das Fundament der Moral«.
5) Daß der Wille das Reale und Essentiale im Menschen, der Intellekt aber nur das Sekundäre, Bedingte, Hervorgebrachte sei, wird auch daran ersichtlich, daß dieser seine Funktion nur so lange ganz rein und richtig vollziehn kann, als der Wille schweigt und pausirt; hingegen durch jede merkliche Erregung desselben die Funktion des Intellekts gestört, und durch seine Einmischung ihr Resultat verfälscht wird: nicht aber wird auch umgekehrt der Intellekt auf ähnliche Weise dem Willen hinderlich. So kann der Mond nicht wirken, wann die Sonne am Himmel steht; doch hindert jener diese nicht.
Ein großer Schreck benimmt uns oft die Besinnung dermaaßen, daß wir versteinern, oder aber das Verkehrteste thun, z.B. bei ausgebrochenem Feuer gerade in die Flammen laufen. Der Zorn läßt uns nicht mehr wissen was wir thun, noch weniger was wir sagen. Der Eifer , deshalb blind genannt, macht uns unfähig die fremden Argumente zu erwägen, oder selbst unsere eigenen hervorzusuchen und geordnet aufzustellen. Die Freude macht unüberlegt, rücksichtslos und verwegen: fast eben so wirkt die Begierde . Die Furcht verhindert uns die noch vorhandenen, oft nahe liegenden Rettungsmittel zu sehn und zu ergreifen. Deshalb sind zum Bestehn plötzlicher Gefahren, wie auch zum Streit mit Gegnern und Feinden, Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart die wesentlichste Befähigung. Jene besteht im Schweigen des Willens, damit der Intellekt agiren könne; diese in der ungestörten Thätigkeit des Intellekts, unter dem Andrang der auf den Willen wirkenden Begebenheiten: daher eben ist jene ihre Bedingung, und Beide sind nahe verwandt, sind selten, und stets nur komparativ vorhanden. Sie sind aber von unschätzbarem Vortheil, weil sie den Gebrauch des Intellekts, gerade zu den Zeiten, wo man seiner am meisten bedarf, gestatten und dadurch entschiedene Ueberlegenheit verleihen. Wer sie nicht hat, erkennt erst nach verschwundener Gelegenheit was zu thun, oder zu sagen gewesen. Sehr treffend sagt man von Dem, der in Affekt geräth, d.h. dessen Wille so stark aufgeregt ist, daß er die Reinheit der Funktion des Intellekts aufhebt, er sei entrüstet : denn die richtige Erkenntniß der Umstände und Verhältnisse ist unsere Wehr und Waffe im Kampf mit den Dingen und den Menschen. In diesem Sinne sagt Balthasar Gracian : es la pasion enemiga declarada de la cordura (die Leidenschaft ist der erklärte Feind der Klugheit). – Wäre nun der Intellekt nicht etwas vom Willen völlig Verschiedenes, sondern, wie man es bisher ansah, Erkennen und Wollen in der Wurzel Eins und gleich ursprüngliche Funktionen eines schlechthin einfachen Wesens; so müßte mit der Aufregung
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