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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Bedingtes, nur sekundär und bedingterweise wirken kann.
    Eine der dargelegten Störung und Trübung der Erkenntniß durch den Willen entsprechende, unmittelbare Störung dieses durch jene giebt es nicht: ja, wir können uns von einer solchen nicht wohl einen Begriff machen. Daß falsch aufgefaßte Motive den Willen irre leiten, wird Niemand dahin auslegen wollen; da dies ein Fehler des Intellekts in seiner eigenen Funktion ist, der rein auf seinem Gebiete begangen wird, und der Einfluß desselben auf den Willen ein völlig mittelbarer ist. Scheinbarer wäre es, die Unschlüssigkeit dahin zu ziehn, als bei welcher, durch den Widerstreit der Motive, die der Intellekt dem Willen vorhält, dieser in Stillstand geräth, also gehemmt ist. Allein bei näherer Betrachtung wird es sehr deutlich, daß die Ursache dieser Hemmung nicht in der Thätigkeit des Intellekts als solcher liegt, sondern ganz allein in den durch dieselbe vermittelten äußern Gegenständen, als welche dieses Mal zu dem hier betheiligten Willen gerade in dem Verhältniß stehn, daß sie ihn nach verschiedenen Richtungen mit ziemlich gleicher Stärke ziehn: diese eigentliche Ursache wirkt bloß durch den Intellekt, als das Medium der Motive, hindurch; wiewohl freilich nur unter der Voraussetzung, daß er scharf genug sei, die Gegenstände und ihre vielfachen Beziehungen genau aufzufassen. Unentschlossenheit, als Charakterzug, ist eben so sehr durch Eigenschaften des Willens, als des Intellekts bedingt. Aeußerst beschränkten Köpfen ist sie freilich nicht eigen; weil ihr schwacher Verstand sie theils nicht so vielfache Eigenschaften und Verhältnisse an den Dingen entdecken läßt, theils auch der Anstrengung des Nachdenkens und Grübelns über jene und demnächst über die muthmaaßlichen Folgen jedes Schrittes so wenig gewachsen ist, daß sie lieber nach dem ersten Eindrucke, oder nach irgend einer einfachen Verhaltungsregel, sich sofort entschließen. Das Umgekehrte hievon findet Statt bei Leuten von bedeutendem Verstande: sobald daher bei diesen eine zarte Vorsorge für das eigene Wohl, d.h. ein sehr empfindlicher Egoismus, der durchaus nicht zu kurz kommen und stets geborgen seyn will, hinzukommt; so führt dies eine gewisse Aengstlichkeit bei jedem Schritt und dadurch die Unentschlossenheit herbei. Diese Eigenschaft deutet also durchaus nicht auf Mangel an Verstand, wohl aber an Muth. Sehr eminente Köpfe jedoch übersehn die Verhältnisse und deren wahrscheinliche Entwickelungen mit solcher Schnelligkeit und Sicherheit, daß sie, wenn nur noch von einigem Muth unterstützt, dadurch diejenige rasche Entschlossenheit und Festigkeit erlangen, welche sie befähigt, eine bedeutende Rolle in den Welthändeln zu spielen, falls Zeit und Umstände hiezu Gelegenheit bieten.
    Die einzige entschiedene, unmittelbare Hemmung und Störung, die der Wille vom Intellekt als solchem erleiden kann, möchte wohl die ganz exceptionelle seyn, welche die Folge einer abnorm überwiegenden Entwickelung des Intellekts, also derjenigen hohen Begabung ist, die man als Genie bezeichnet. Eine solche nämlich ist der Energie des Charakters und folglich der Thatkraft entschieden hinderlich. Daher eben sind es nicht die eigentlich großen Geister, welche die historischen Charaktere abgeben, indem sie, die Masse der Menschheit zu lenken und zu beherrschen fähig, die Welthändel durchkämpften; sondern hiezu taugen Leute von viel geringerer Kapacität des Geistes, aber großer Festigkeit, Entschiedenheit und Beharrlichkeit des Willens, wie sie bei sehr hoher Intelligenz gar nicht bestehn kann; bei welcher demnach wirklich der Fall eintritt, daß der Intellekt den Willen direkt hemmt.
    6) Im Gegensatz der dargelegten Hindernisse und Hemmungen, welche der Intellekt vom Willen erleidet, will ich jetzt an einigen Beispielen zeigen, wie, auch umgekehrt, die Funktionen des Intellekts durch den Antrieb und Sporn des Willens bisweilen befördert und erhöht werden; damit wir auch hieran die primäre Natur des Einen und die sekundäre des Andern erkennen, und sichtbar werde, daß der Intellekt zum Willen im Verhältnisse eines Werkzeuges steht.
    Ein stark wirkendes Motiv, wie der sehnsüchtige Wunsch, die dringende Noth, steigert bisweilen den Intellekt zu einem Grade, dessen wir ihn vorher nie fähig geglaubt hatten. Schwierige Umstände, welche uns die Nothwendigkeit gewisser Leistungen auflegen, entwickeln ganz neue Talente in uns, deren Keime uns verborgen geblieben waren und zu denen

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