Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Verstand, oder eine Sache kalt untersuchen, d.h. ohne Einfluß des Willens denken. – Versucht man das Verhältniß umzukehren und den Willen als Werkzeug des Intellekts zu betrachten; so ist es, als machte man den Schmidt zum Werkzeug des Hammers.
Nichts ist verdrießlicher, als wenn man, mit Gründen und Auseinandersetzungen gegen einen Menschen streitend, sich alle Mühe giebt, ihn zu überzeugen, in der Meinung, es bloß mit seinem Verstande zu thun zu haben, – und nun endlich entdeckt, daß er nicht verstehn will ; daß man also es mit seinem Willen zu thun hatte, welcher sich der Wahrheit verschließt und muthwillig Mißverständnisse, Schikanen und Sophismen ins Feld stellt, sich hinter seinem Verstande und dessen vorgeblichem Nichteinsehn verschanzend. Da ist ihm freilich so nicht beizukommen: denn Gründe und Beweise, gegen den Willen angewandt, sind wie die Stöße eines Hohlspiegelphantoms gegen einen festen Körper. Daher auch der so oft wiederholte Ausspruch: Stat pro ratione voluntas . – Belege zu dem Gesagten liefert das gemeine Leben zur Genüge. Aber auch auf dem Wege der Wissenschaften sind sie leider zu finden. Die Anerkennung der wichtigsten Wahrheiten, der seltensten Leistungen, wird man vergeblich von Denen erwarten, die ein Interesse haben, sie nicht gelten zu lassen, welches nun entweder daraus entspringt, daß solche Dem widersprechen, was sie selbst täglich lehren, oder daraus, daß sie es nicht benutzen und nachlehren dürfen, oder, wenn auch dies Alles nicht, schon weil allezeit die Losung der Mediokren seyn wird: Si quelqu'un excelle parmi nous, qu'il aille exceller ailleurs ; wie Helvetius den Ausspruch der Epheser, in Cicero's fünftem Tuskulanischen Buche (c. 36) , allerliebst wiedergegeben hat; oder, wie ein Spruch des Abyssiniers Fit Arari es giebt: »Der Demant ist unter den Quarzen verfehmt«. Wer also von dieser stets zahlreichen Schaar eine gerechte Würdigung seiner Leistungen erwartet, wird sich sehr getäuscht finden und vielleicht ihr Betragen eine Weile gar nicht begreifen können; bis auch er endlich dahinter kommt, daß, während er sich an die Erkenntniß wendete, er es mit dem Willen zu thun hatte, also ganz in dem oben beschriebenen Fall sich befindet, ja, eigentlich Dem gleicht, der seine Sache vor einem Gerichte führt, dessen Beisitzer sämmtlich bestochen sind. In einzelnen Fällen jedoch wird er davon, daß ihr Wille , nicht ihre Einsicht , ihm entgegenstand, sogar den vollgültigsten Beweis erhalten: wenn nämlich Einer und der Andere von ihnen sich zum Plagiat entschließt. Da wird er mit Erstaunen sehn, wie feine Kenner sie sind, welchen richtigen Takt sie für fremdes Verdienst haben und wie treffend sie das Beste herauszufinden wissen; den Sperlingen gleich, welche die reifsten Kirschen nicht verfehlen. –
Das Widerspiel des hier dargestellten siegreichen Widerstrebens des Willens gegen die Erkenntniß tritt ein, wenn man, bei der Darlegung seiner Gründe und Beweise, den Willen der Angeredeten für sich hat: da ist Alles gleich überzeugt, da sind alle Argumente schlagend und die Sache ist sofort klar, wie der Tag. Das wissen die Volksredner. – Im einen, wie im andern Fall, zeigt sich der Wille als das Urkräftige, gegen welches der Intellekt nichts vermag.
8) Jetzt aber wollen wir die individuellen Eigenschaften, also Vorzüge und Fehler, einerseits des Willens und Charakters, andererseits des Intellekts, in Betrachtung nehmen, um auch an ihrem Verhältniß zu einander und an ihrem relativen Werth die gänzliche Verschiedenheit beider Grundvermögen deutlich zu machen. Geschichte und Erfahrung lehren, daß Beide völlig unabhängig von einander auftreten. Daß die größte Trefflichkeit des Kopfes mit einer gleichen des Charakters nicht leicht im Verein gefunden wird, erklärt sich genugsam aus der unaussprechlich großen Seltenheit Beider; während ihre Gegentheile durchgängig an der Tagesordnung sind: daher man diese auch täglich im Verein antrifft. Inzwischen schließt man nie von einem vorzüglichen Kopf auf einen guten Willen, noch von diesem auf jenen, noch vom Gegentheil auf das Gegentheil: sondern jeder Unbefangene nimmt sie als völlig gesonderte Eigenschaften, deren Vorhandenseyn, jedes für sich, durch Erfahrung auszumachen ist. Große Beschränktheit des Kopfes kann mit großer Güte des Herzens zusammenbestehn, und ich glaube nicht, daß Balthasar Gracian (Discreto, p. 406) Recht hat zu sagen: No ay simple, que no sea malicioso (Es
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