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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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ankommt; indem der Intellekt die Fehler desselben bejammert und keinen Trost findet an der Richtigkeit der Erkenntniß , als seiner eigenen Funktion. Dieser zeigt sich also als ganz sekundär, nämlich theils als Zuschauer fremder Thaten, die er mit ohnmächtigem Lobe und Tadel begleitet, und theils als von außen bestimmbar, indem er, durch die Erfahrung belehrt, seine Vorschriften abfaßt und ändert. Specielle Erläuterungen dieses Gegenstandes findet man in den Parergis, Bd. 2, § 118. – Demgemäß wird auch, bei der Vergleichung unserer Denkungsart in verschiedenen Lebensaltern, sich uns ein sonderbares Gemisch von Beharrlichkeit und Veränderlichkeit darbieten. Einerseits ist die moralische Tendenz des Mannes und Greises noch die selbe, welche die des Knaben war: andererseits ist ihm Vieles so entfremdet, daß er sich nicht mehr kennt und sich wundert, wie er einst Dieses und Jenes thun oder sagen gekonnt. In der ersten Lebenshälfte lacht meistens das Heute über das Gestern, ja sieht wohl gar verächtlich darauf hinab; in der zweiten hingegen mehr und mehr mit Neid darauf zurück. Bei näherer Untersuchung aber wird man finden, daß das Veränderliche der Intellekt war, mit seinen Funktionen der Einsicht und Erkenntniß, als welche, täglich neuen Stoff von außen sich aneignend, ein stets verändertes Gedankensystem darstellen; während zudem auch er selbst, mit dem Aufblühen und Welken des Organismus, steigt und sinkt. Als das Unabänderliche im Bewußtseyn hingegen weist sich gerade die Basis desselben aus, der Wille, also die Neigungen, Leidenschaften, Affekte, der Charakter; wobei jedoch die Modifikationen in Rechnung zu bringen sind, welche von den körperlichen Fähigkeiten zum Genüsse und hiedurch vom Alter abhängen. So z.B. wird die Gier nach sinnlichem Genuß im Knabenalter als Naschhaftigkeit auftreten, im Jünglings- und Mannesalter als Hang zur Wollust, und im Greisenalter wieder als Naschhaftigkeit.
    7) Wenn, der allgemeinen Annahme gemäß, der Wille aus der Erkenntniß hervorgienge, als ihr Resultat oder Produkt; so müßte, wo viel Wille ist, auch viel Erkenntniß, Einsicht, Verstand seyn. Dem ist aber ganz und gar nicht so: vielmehr finden wir, in vielen Menschen, einen starken, d.h. entschiedenen, entschlossenen, beharrlichen, unbiegsamen, eigensinnigen und heftigen Willen, verbunden mit einem sehr schwachen und unfähigen Verstande; wodurch eben wer mit ihnen zu thun hat zur Verzweiflung gebracht wird, indem ihr Wille allen Gründen und Vorstellungen unzugänglich bleibt und ihm nicht beizukommen ist; so daß er gleichsam in einem Sack steckt, von wo aus er blindlings will . Die Thiere haben, bei oft heftigem, oft starrsinnigem Willen, noch viel weniger Verstand; die Pflanzen endlich bloßen Willen, ohne alle Erkenntniß.
    Entspränge das Wollen bloß aus der Erkenntniß; so müßte unser Zorn seinem jedesmaligen Anlaß, oder wenigstens unserm Verständniß desselben, genau angemessen seyn; indem auch er nichts weiter, als das Resultat der gegenwärtigen Erkenntniß wäre. So fällt es aber sehr selten aus: vielmehr geht der Zorn meistens weit über den Anlaß hinaus. Unser Wüthen und Rasen, der furor brevis , oft bei geringen Anlässen und ohne Irrthum hinsichtlich derselben, gleicht dem Toben eines bösen Dämons, welcher, eingesperrt, nur auf die Gelegenheit wartete, losbrechen zu dürfen, und nun jubelt sie gefunden zu haben. Dem könnte nicht so seyn, wenn der Grund unsers Wesens ein Erkennendes und das Wollen ein bloßes Resultat der Erkenntniß wäre: denn wie käme in das Resultat, was nicht in den Elementen desselben lag? Kann doch die Konklusion nicht mehr enthalten, als die Prämissen. Der Wille zeigt sich also auch hier als ein von der Erkenntniß ganz verschiedenes Wesen, welches sich ihrer nur zur Kommunikation mit der Außenwelt bedient, dann aber den Gesetzen seiner eigenen Natur folgt, ohne von jener mehr als den Anlaß zu nehmen.
    Der Intellekt, als bloßes Werkzeug des Willens, ist von ihm so verschieden, wie der Hammer vom Schmidt. So lange, bei einer Unterredung, der Intellekt allein thätig ist, bleibt solche kalt . Es ist fast als wäre der Mensch selbst nicht dabei. Auch kann er dann sich eigentlich nicht kompromittiren, sondern höchstens blamiren. Erst wann der Wille ins Spiel kommt, ist der Mensch wirklich dabei: jetzt wird er warm , ja, es geht oft heiß her. Immer ist es der Wille , dem man die Lebenswärme zuschreibt: hingegen sagt man der kalte

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