Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Menschen selbst Ausgehendes, ihm wesentlich Angehöriges, ja, sein eigenes Selbst Ausmachendes. Hieraus nun folgt abermals, daß der Wille das eigentliche Wesen des Menschen ist, der Intellekt hingegen sekundär, ein Werkzeug, eine Ausstattung.
Diesem entsprechend verheißen alle Religionen für die Vorzüge des Willens , oder Herzens, einen Lohn jenseit des Lebens, in der Ewigkeit; keine aber für die Vorzüge des Kopfes, des Verstandes. Die Tugend erwartet ihren Lohn in jener Welt; die Klugheit hofft ihn in dieser; das Genie weder in dieser, noch in jener: es ist sein eigener Lohn. Demnach ist der Wille der ewige Theil, der Intellekt der zeitliche.
Verbindung, Gemeinschaft, Umgang zwischen Menschen, gründet sich, in der Regel, auf Verhältnisse, die den Willen , selten auf solche, die den Intellekt betreffen: die erstere Art der Gemeinschaft kann man die materiale , die andere die formale nennen. Jener Art sind die Bande der Familie und Verwandtschaft, ferner alle auf irgend einem gemeinschaftlichen Zwecke, oder Interesse, wie das des Gewerbes, Standes, der Korporation, Partei, Faktion u.s.w. beruhenden Verbindungen. Bei diesen nämlich kommt es bloß auf die Gesinnung, die Absicht an; wobei die größte Verschiedenheit der intellektuellen Fähigkeiten und ihrer Ausbildung bestehn kann. Daher kann Jeder mit Jedem nicht nur in Frieden und Einigkeit leben, sondern auch zum gemeinsamen Wohl Beider mit ihm zusammen wirken und ihm verbündet seyn. Auch die Ehe ist ein Bund der Herzen, nicht der Köpfe. Anders aber verhält es sich mit der bloß formalen Gemeinschaft, als welche nur Gedankenaustausch bezweckt: diese verlangt eine gewisse Gleichheit der intellektuellen Fähigkeiten und der Bildung. Große Unterschiede hierin setzen zwischen Mensch und Mensch eine unübersteigbare Kluft: eine solche liegt z.B. zwischen einem großen Geist und einem Dummkopf, zwischen einem Gelehrten und einem Bauern, zwischen einem Hofmann und einem Matrosen. Dergleichen heterogene Wesen haben daher Mühe sich zu verständigen, so lange es auf die Mittheilung von Gedanken, Vorstellungen und Ansichten ankommt. Nichtsdestoweniger kann enge materiale Freundschaft zwischen ihnen Statt finden, und sie können treue Verbündete, Verschworene und Verpflichtete seyn. Denn in Allem was allein den Willen betrifft, wohin Freundschaft, Feindschaft, Redlichkeit, Treue, Falschheit, und Verrath gehört, sind sie völlig homogen, aus dem selben Teig geformt, und weder Geist noch Bildung machen darin einen Unterschied: ja, oft beschämt hier der Rohe den Gelehrten, der Matrose den Hofmann. Denn bei den verschiedensten Graden der Bildung bestehn die selben Tugenden und Laster, Affekte und Leidenschaften, und, wenn auch in ihren Aeußerungen etwas modificirt, erkennen sie sich doch, selbst in den heterogensten Individuen sehr bald gegenseitig, wonach die gleichgesinnten zusammentreten, die entgegengesetzten sich anfeinden.
Glänzende Eigenschaften des Geistes erwerben Bewunderung, aber nicht Zuneigung: diese bleibt den moralischen, den Eigenschaften des Charakters, vorbehalten. Zu seinem Freunde wird wohl Jeder lieber den Redlichen, den Gutmüthigen, ja selbst den Gefälligen, Nachgiebigen und leicht Beistimmenden wählen, als den bloß Geistreichen. Vor Diesem wird sogar durch unbedeutende, zufällige, äußere Eigenschaften, welche gerade der Neigung eines Andern entsprechen, Mancher den Vorzug gewinnen. Nur wer selbst viel Geist hat, wird den Geistreichen zu seiner Gesellschaft wünschen; seine Freundschaft hingegen wird sich nach den moralischen Eigenschaften richten: denn auf diesen beruht seine eigentliche Hochschätzung eines Menschen, in welcher ein einziger guter Charakterzug große Mängel des Verstandes bedeckt und auslischt. Die erkannte Güte eines Charakters macht uns geduldig und nachgiebig gegen Schwächen des Verstandes, wie auch gegen die Stumpfheit und das kindische Wesen des Alters. Ein entschieden edler Charakter, bei gänzlichem Mangel intellektueller Vorzüge und Bildung, steht da, wie Einer, dem nichts abgeht; hingegen wird der größte Geist, wenn mit starken moralischen Fehlern behaftet, noch immer tadelhaft erscheinen. – Denn wie Fackeln und Feuerwerk vor der Sonne blaß und unscheinbar werden, so wird Geist, ja Genie, und ebenfalls die Schönheit, überstrahlt und verdunkelt von der Güte des Herzens. Wo diese in hohem Grade hervortritt, kann sie den Mangel jener Eigenschaften so sehr ersetzen, daß man solche vermißt zu
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