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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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das Gedächtniß des Herzens nennen: dasselbe ist viel intimer, als das des Kopfes. Im Grunde jedoch geht es mit dem Zusammenhange Beider so weit, daß, wenn man der Sache tief nachdenkt, man zu dem Ergebniß gelangen wird, daß das Gedächtniß überhaupt der Unterlage eines Willens bedarf, als eines Anknüpfungspunktes, oder vielmehr eines Fadens, auf welchen sich die Erinnerungen reihen, und der sie fest zusammenhält, oder daß der Wille gleichsam der Grund ist, auf welchem die einzelnen Erinnerungen kleben, und ohne den sie nicht haften könnten; und daß daher an einer reinen Intelligenz, d.h. an einem bloß erkennenden und ganz willenlosen Wesen, sich ein Gedächtniß nicht wohl denken läßt. Demnach ist die oben dargelegte Steigerung des Gedächtnisses durch den Sporn der herrschenden Leidenschaft nur der höhere Grad Dessen, was bei allem Behalten und Erinnern Statt findet; indem dessen Basis und Bedingung stets der Wille ist. – Also auch an allem Diesen wird sichtbar, wie sehr viel innerlicher uns der Wille ist, als der Intellekt. Dies zu bestätigen können auch noch folgende Thatsachen dienen.
    Der Intellekt gehorcht oft dem Willen: z.B. wenn wir uns auf etwas besinnen wollen, und dies nach einiger Anstrengung gelingt: – eben so, wenn wir jetzt etwas genau und bedächtig überlegen wollen, u. dgl. m. Bisweilen wieder versagt der Intellekt dem Willen den Gehorsam, z.B. wenn wir vergebens uns auf etwas zu fixiren streben, oder wenn wir vom Gedächtniß etwas ihm Anvertrautes vergeblich zurückfordern: der Zorn des Willens gegen den Intellekt, bei solchen Anlässen, macht sein Verhältniß zu diesem und die Verschiedenheit Beider sehr kenntlich. Sogar bringt der durch diesen Zorn gequälte Intellekt das von ihm Verlangte bisweilen nach Stunden, oder gar am folgenden Morgen, ganz unerwartet und zur Unzeit, diensteifrig nach. – Hingegen gehorcht eigentlich nie der Wille dem Intellekt; sondern dieser ist bloß der Ministerrath jenes Souverains: er legt ihm allerlei vor, wonach dieser erwählt was seinem Wesen gemäß ist, wiewohl sich dabei mit Nothwendigkeit bestimmend; weil dies Wesen unveränderlich fest steht und die Motive jetzt vorliegen. Darum eben ist keine Ethik möglich, die den Willen selbst modelte und besserte. Denn jede Lehre wirkt bloß auf die Erkenntniß : diese aber bestimmt nie den Willen selbst, d.h. den Grund- des Wollens, sondern bloß dessen Anwendung auf die vorliegenden Umstände. Eine berichtigte Erkenntniß kann das Handeln nur in so weit modificiren, als sie die dem Willen zugänglichen Objekte seiner Wahl genauer nachweist und richtiger beurtheilen läßt; wodurch er nunmehr sein Verhältniß zu den Dingen richtiger ermißt, deutlicher sieht, was er will, und demzufolge dem Irrthum bei der Wahl weniger unterworfen ist. Aber über das Wollen selbst, über die Hauptrichtung, oder die Grundmaxime desselben hat der Intellekt keine Macht. Zu glauben, daß die Erkenntniß wirklich und von Grund aus den Willen bestimme, ist wie glauben, daß die Laterne, die Einer bei Nacht trägt, das primum mobile seiner Schritte sei. – Wer, durch Erfahrung oder fremde Ermahnung belehrt, einen Grundfehler seines Charakters erkennt und beklagt, faßt wohl den festen und redlichen Vorsatz, sich zu bessern und ihn abzulegen: trotz Dem aber erhält, bei nächster Gelegenheit, der Fehler freien Lauf. Neue Reue, neuer Vorsatz, neues Vergehn. Wann dies einige Male so durchgemacht ist, wird er inne, daß er sich nicht bessern kann, daß der Fehler in seiner Natur und Persönlichkeit liegt, ja, mit dieser Eins ist. Jetzt wird er seine Natur und Persönlichkeit mißbilligen und verdammen, ein schmerzliches Gefühl haben, welches bis zur Gewissenspein steigen kann: aber jene zu ändern vermag er nicht. Hier sehn wir Das, was verdammt, und Das, was verdammt wird, deutlich auseinandertreten: wir sehn Jenes, als ein bloß theoretisches Vermögen, den zu lobenden und daher wünschenswerthen Lebenswandel vorzeichnen und aufstellen; das Andere aber, als ein Reales und unabänderlich Vorhandenes, Jenem zum Trotz, einen ganz andern Gang gehn; und dann wieder das Erste mit ohnmächtigen Klagen über die Beschaffenheit des Andern zurückbleiben, mit welchem es sich durch eben diese Betrübniß wieder identificirt. Wille und Intellekt treten hier sehr deutlich auseinander. Dabei zeigt sich der Wille als das Stärkere, Unbezwingbare, Unveränderliche, Primitive, und zugleich auch als das Wesentliche, darauf es

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