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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Wissenschaften meint man jedoch besonders die mathematischen, namentlich die Astronomie. Die Sicherheit dieser letzteren stammt aber daher, daß ihr die a priori gegebene, also unfehlbare, Anschauung des Raumes zum Grunde liegt, alle räumlichen Verhältnisse aber eines aus dem andern, mit einer Nothwendigkeit (Seynsgrund), welche Gewißheit a priori liefert, folgen und sich daher mit Sicherheit aus einander ableiten lassen. Zu diesen mathematischen Bestimmungen kommt hier nur noch eine einzige Naturkraft, die Schwere, welche genau im Verhältniß der Massen und des Quadrats der Entfernung wirkt, und endlich das a priori gesicherte, weil aus dem der Kausalität folgende, Gesetz der Trägheit, nebst dem empirischen Datum der ein für alle Mal jeder dieser Massen aufgedrückten Bewegung. Dies ist das ganze Material der Astronomie, welches, sowohl durch seine Einfachheit, als seine Sicherheit, zu festen und, vermöge der Größe und Wichtigkeit der Gegenstände, sehr interessanten Resultaten führt. Z.B. kenne ich die Masse eines Planeten und die Entfernung seines Trabanten von ihm, so kann ich auf die Umlaufszeit dieses mit Sicherheit schließen, nach dem zweiten Keplerschen Gesetz: der Grund dieses Gesetzes ist aber, daß, bei dieser Entfernung, nur diese Velocität den Trabanten zugleich an den Planeten fesselt und ihn vom Hineinfallen in denselben abhält. – Also nur auf solcher geometrischen Grundlage, d.h. mittelst einer Anschauung a priori , und noch dazu unter Anwendung eines Naturgesetzes, da läßt sich mit Schlüssen weit gelangen; weil sie hier gleichsam bloß Brücken von einer anschaulichen Auffassung zur andern sind; nicht aber eben so mit bloßen und reinen Schlüssen, auf dem ausschließlich logischen Wege. – Der Ursprung der ersten astronomischen Grundwahrheiten aber ist eigentlich Induktion, d.h. Zusammenfassung des in vielen Anschauungen Gegebenen in ein richtiges unmittelbar begründetes Urtheil: aus diesem werden nachher Hypothesen gebildet, deren Bestätigung durch die Erfahrung, als der Vollständigkeit sich nähernde Induktion, den Beweis für jenes erste Urtheil giebt. Z.B. die scheinbare Bewegung der Planeten ist empirisch erkannt: nach vielen falschen Hypothesen über den räumlichen Zusammenhang dieser Bewegung (Planetenbahn), ward endlich die richtige gefunden, sodann die Gesetze, welche sie befolgt (die Keplerischen), zuletzt auch die Ursache derselben (allgemeine Gravitation), und sämmtlichen Hypothesen gab die empirisch erkannte Uebereinstimmung aller vorkommenden Fälle mit ihnen und mit den Folgerungen aus ihnen, also Induktion, vollkommene Gewißheit. Die Auffindung der Hypothese war Sache der Urtheilskraft, welche die gegebene Thatsache richtig auffaßte und demgemäß ausdrückte; Induktion aber, d.h. vielfache Anschauung, bestätigte ihre Wahrheit. Aber sogar auch unmittelbar, durch eine einzige empirische Anschauung, könnte diese begründet werden, sobald wir die Welträume frei durchlaufen könnten und teleskopische Augen hätten. Folglich sind Schlüsse auch hier nicht die wesentliche und einzige Quelle der Erkenntniß, sondern immer wirklich nur ein Nothbehelf.
    Endlich wollen wir, um ein drittes heterogenes Beispiel aufzustellen, noch bemerken, daß auch die sogenannten metaphysischen Wahrheiten, d.h. solche, wie sie Kant in den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft aufstellt, nicht den Beweisen ihre Evidenz verdanken. Das a priori Gewisse erkennen wir unmittelbar: es ist, als die Form aller Erkenntniß, uns mit der größten Nothwendigkeit bewußt. Z.B. daß die Materie beharrt, d.h. weder entstehn, noch vergehn kann, wissen wir unmittelbar als negative Wahrheit: denn unsere reine Anschauung von Raum und Zeit giebt die Möglichkeit der Bewegung; der Verstand giebt, im Gesetz der Kausalität, die Möglichkeit der Aenderung der Form und Qualität; aber zu einem Entstehn oder Verschwinden von Materie gebricht es uns an Formen der Vorstellbarkeit. Daher ist jene Wahrheit zu allen Zeiten, überall und Jedem evident gewesen, noch jemals im Ernst bezweifelt worden; was nicht seyn könnte, wenn ihr Erkenntnißgrund kein anderer wäre, als ein so schwieriger auf Nadelspitzen einherschreitender Kantischer Beweis. Ja überdies habe ich (wie im Anhange ausgeführt) Kants Beweis falsch befunden und oben gezeigt, daß nicht aus dem Antheil, den die Zeit, sondern aus dem, welchen der Raum an der Möglichkeit der Erfahrung hat, das Beharren der Materie abzuleiten ist.

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